Forderte in seiner programmatischen Rede auch die Einigkeit seiner heterogenen Koalition: Italiens neuer Ministerpräsident Mario Draghi.

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Es war das erste Mal überhaupt, dass sich Italiens neuer Premier Mario Draghi an das Parlament wandte, um seine Pläne darzulegen. Und angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die auf ihn und seine Regierungsmannschaft in den nächsten Monaten warten, hat sich am Mittwoch sogar der sonst so eloquente und gelassene Draghi ein paar Mal verhaspelt.

Große Emotionen, große Verantwortung

Aber Draghi machte aus seiner Aufregung von Beginn an kein Hehl: "In meiner langen beruflichen Karriere habe ich noch nie einen Moment mit so großen Emotionen und mit einer so großen Verantwortung erlebt wie heute", erklärte der 73-jährige ehemalige Chef der Europäische Zentralbank in seiner programmatischen Rede im Senat.

Als Priorität nannte der neue Regierungschef die Bekämpfung der Corona-Pandemie, die in Italien bereits über 90.000 Todesopfer gefordert hat. Die zentrale Aufgabe dabei sei, ausreichend Impfdosen zu beschaffen und diese "schnell und effizient" zu verteilen. Dabei will Draghi "alle Energien mobilisieren, die zur Verfügung stehen: den Zivilschutz, die Streitkräfte, die zahlreichen Freiwilligenorganisationen im Land". Die Zeit dränge: Es gehe nicht mehr nur darum, so schnell wie möglich die vulnerablen Gruppen zu schützen, sondern auch darum, die Ausbreitung neuer Virusvarianten verhindern.

Konzept für Wiederaufbaufonds

Dieselbe Wichtigkeit wie der Pandemiebekämpfung räumte Draghi der Revision der bisherigen Pläne zur Verwendung der Milliardenhilfen aus dem EU-Wiederaufbaufonds ein. Auch hier dränge die Zeit: Das endgültige Konzept müsse bis Ende April in Brüssel eingereicht werden, erinnerte der neue Ministerpräsident. Draghi dankte der Vorgängerregierung von Giuseppe Conte für die bereits geleistete Arbeit, die nun "vertieft und komplettiert" werden müsse, wie Draghi diplomatisch anmerkte.

Die Überarbeitung des Plans werde im Dialog mit der EU-Kommission erfolgen; aber auch die Vorschläge des Parlaments würden berücksichtigt. Der bisherige Premier Conte wollte bezüglich der Verwendung der Hilfen alles selber entscheiden – seine Regierung war letztlich genau daran gescheitert. Insgesamt wird Italien in den nächsten Jahren 209 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe aus Brüssel erhalten, so viel wie kein anderes EU-Land.

Null Emissionen bis 2050

Mit den Zuschüssen und Krediten aus Brüssel will Draghi den grünen Umbau der Wirtschaft und die Modernisierung vorantreiben: "Investitionen in die Innovation, Digitalisierung, Wettbewerbsfähigkeit und Kultur und die Förderung der nachhaltigen Mobilität, von Bildung und Forschung, der sozialen, geschlechtlichen und territorialen Gerechtigkeit und des Gesundheitswesens werden die Grundpfeiler unseres Plans darstellen", erklärte Draghi vor dem Senat. Er bekannte sich auch zu dem Ziel, die CO2-Emissionen bis 2050 auf null zu senken. Die Klimaerwärmung und die Umweltverschmutzung hätten Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit aller, betonte Draghi und zitierte Papst Franziskus. Dieser hatte gesagt, dass die Naturkatastrophen die Antwort der Schöpfung auf unsere Misshandlungen sei.

Regierung von beinah allen Parteien getragen

"Heute haben wir die Möglichkeit oder vielmehr die Verpflichtung, einen Wiederaufbau in Angriff zu nehmen, wie ihn die Generation nach dem Zweiten Weltkrieg vor sich hatte", betonte Draghi. In diesen Jahren habe sich Italien aus den Trümmern des Krieges erhoben und die Basis für das Wirtschaftswunder gelegt. Auch damals hätten im Parlament Parteien mit großen politischen Differenzen zusammenarbeiten müssen, sagte der Premier unter Anspielung auf die heterogene Koalition, die seine Regierung tragen wird. "Ich vertraue darauf, dass der Wunsch, eine bessere Zukunft zu schaffen, unser Entscheidungen leiten wird. Einigkeit ist heute keine Option, sondern unsere Pflicht", betonte Draghi. Seine Regierung wird außer von Giorgia Melonis postfaschistischen Fratelli d'Italia von von allen Parlamentsparteien getragen.

Bereits erste Reibereien

Draghis Aufruf zur Geschlossenheit kam nicht von ungefähr: In den vergangenen Tagen ist es bereits zu ersten Reibereien unter den Koalitionspartnern gekommen. Zuletzt posaunte Lega-Chef Matteo Salvini hinaus, dass der Euro "nicht irreversibel" sei. Er zeigte damit, dass die proeuropäische Wende, die er nach Draghis Ernennung zum Regierungschef hingelegt hatte, noch nicht wirklich verinnerlicht und gefestigt ist. Die Antwort des Chefs des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Nicola Zingaretti, ließ nicht lange auf sich warten: "Der Euro und Europa sind die Dimension, in der Italiens Zukunft liegt. Darüber sollte man eigentlich nicht mehr diskutieren müssen." Draghi, der als EZB-Chef den Euro gerettet hatte, ließ Salvini ebenfalls abblitzen: "Diese Regierung zu unterstützen bedeutet anzuerkennen, dass der Euro irreversibel ist", betonte er.

Unruhestifter Salvini

Nach Salvinis Provokation in Sachen Einheitswährung ist bereits klar, dass auch Draghi einen Unruhestifter mit dem Vornamen Matteo in seiner Koalition haben wird. Bei Conte war es der ehemalige Premier Matteo Renzi gewesen, der ihm das Leben schwergemacht und ihn schließlich gestürzt hatte. Draghi wird Salvini im Nacken haben, der Angst hat, Wähler an seine rechtsnationale Konkurrentin Meloni zu verlieren, die sich in der Opposition nun als einzige Europakritikerin positionieren kann. Einen gewichtigen Unterschied zwischen den beiden Matteos gibt es aber: Renzis Ausscheiden aus der Regierung hatte numerisch genügt, um Conte zu Fall zu bringen. Draghi hat im Parlament dagegen eine derart breite Basis, dass ein Ausscheiden der Lega problemlos verkraftbar wäre.

Nach Draghis programmatischer Rede muss sich die neue Regierung am Mittwochabend im Senat der Vertrauensabstimmung stellen. Es galt als gewiss, dass der neue Premier sie gewinnen wird. (Dominik Straub aus Rom, 17.2.2021)