Scott Morrison will erst vor wenigen Tagen von dem Fall erfahren haben.

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Canberra – Australiens Regierungschef Scott Morrison gerät wegen eines Vergewaltigungsskandals im Parlament zunehmend unter Druck. Eine ehemalige Regierungsmitarbeiterin warf der Regierung am Mittwoch vor, heikle Details ihres Vergewaltigungsfalls ohne ihre Zustimmung öffentlich gemacht zu haben. Die "anhaltende Rhetorik der Opferbeschuldigung" des Premierministers sei "erschreckend", erklärte Brittany Higgins vor Medienvertretern.

Die 26-Jährige wurde nach eigenen Angaben 2019 von einem Kollegen im Büro der jetzigen Verteidigungsministerin Linda Reynolds im Parlament vergewaltigt. Als sie den Vorfall ihren Vorgesetzten meldete, habe sie sich wie ein "politisches Problem" gefühlt, das es zu lösen gelte. Sie habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, zwischen ihrer Karriere und einer Anzeige zu entscheiden.

Entschuldigung vom Premier

Morrison hatte die Reaktion der Regierung auf den Fall zunächst verteidigt, sich dann am Dienstag aber entschuldigt. Am Mittwoch wurden neue Fragen laut, wie viel der Premierminister zu welchem Zeitpunkt von dem Vorfall wusste. Morrison hatte erklärt, er habe erst vor fünf Tagen davon erfahren.

Nun wurde bekannt, dass der Mitarbeiter, der damals mit Higgins' Beschwerde befasst war, inzwischen in Morrisons Büro arbeitet. Zudem erklärte Higgins, ein Mitarbeiter des Regierungschefs habe sie bereits Ende vergangenen Jahres in der Sache angerufen.

Rücktrittsforderung

Der frühere Regierungschef Malcolm Turnbull, der der liberal-konservativen Regierungspartei angehört, bezeichnete es als "unvorstellbar", dass der Fall nicht auf höherer Ebene diskutiert worden sein soll. "Es ist sehr, sehr schwer zu glauben, dass das Büro des Premierministers nicht von diesem Vorfall gewusst haben soll", sagte er dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ABC. Sollte dies tatsächlich zutreffen, wäre dies "ein komplettes Versagen des Systems".

Die oppositionelle Labor-Partei forderte Reynolds Rücktritt. "Wenn mir eine Ministerin meines Kabinetts Informationen vorenthalten hätte, dann wäre sie nicht mehr im Amt", sagte Parteichef Anthony Albanese dem Sender Sky News.

Die australische Politik ist in den vergangenen Jahren bereits mehrfach von Skandalen wegen Mobbings und sexueller Belästigung von Frauen erschüttert worden. Kritiker sprechen von einem toxischen Arbeitsklima im Parlament. Auch der regierenden konservativen Koalition wurde vorgeworfen, ein "Frauenproblem" zu haben. (APA, 17.2.2021)