Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie kritisiert in seinem Gastkommentar Kanzler Kurz für dessen Angriffe auf die Justiz.

Sebastian Kurz hat seine harsche Kritik an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mit der Aussage untermauert, seit Einrichtung dieser Behörde seien von 40.000 Beschuldigten nur 400 überführt worden; auf hundert beschuldigte Personen komme somit nur eine Verurteilung. Einige Karrieren der zu Unrecht Beschuldigten seien dennoch ruiniert worden.

Kanzler Sebastian Kurz kritisiert die Justiz. Dort reagiert man entsprechend empört.
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Das vom Kanzler genannte Zahlenverhältnis (das auf einer parlamentarischen Anfragebeantwortung von Dezember 2020 beruht) ist jedoch falsch oder zumindest grob missverständlich: Es stimmt nur dann, wenn zu den Beschuldigten auch solche Personen gezählt werden, gegen die mangels Anfangsverdachtes gar kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Letzteres ist vor allem bei offenkundig haltlosen Anzeigen der Fall, von denen, anders als in den meisten anderen Kriminalitätsbereichen, viele direkt bei der (auf Korruptions- und Wirtschaftsdelikte spezialisierten) Anklagebehörde – häufig anonym – eingebracht werden.

Auf Grundlage einer für den Sicherheitsbericht 2019 vorgenommenen Analyse der justiziellen Verfahrenserledigungen bei Amts- und Korruptionsdelikten in einem fünfjährigen Beobachtungszeitraum lässt sich die Verurteilungsquote in diesem Deliktsspektrum mit etwa sechs Prozent angeben.

Wichtige rechtsstaatliche Leistung

Für die Fälle, die in den Zuständigkeitsbereich der WKStA fallen (eine eigene Statistik steht dafür nicht zur Verfügung), könnte der Anteil der verurteilenden Gerichtsentscheidungen noch ein wenig geringer sein; auf Basis der in der Anfragebeantwortung genannten rund 10.000 Verfahrenseinstellungen dürfte er ungefähr vier Prozent betragen. Das klingt wenig, ist aber aufgrund der häufig schwierigen und komplexen Ermittlungen in diesem Segment der Strafverfolgung durchaus erwartbar – zumal die Verurteilungsquote im Durchschnitt aller Delikte auch nicht mehr als zwölf Prozent beträgt.

Die Qualität einer Anklagebehörde lässt sich nur schwer durch die Verurteilungsquote messen: Abgesehen davon, dass sie die Menge der eingebrachten Anzeigen (die von ihr gemäß Offizialprinzip stets bearbeitet werden müssen) nicht steuern kann, liegt im sorgfältigen Prüfen und – mangels Beweisen oder schuldhaften Verhaltens – oft eben auch Verwerfen eines strafrechtlichen Vorwurfs eine wichtige rechtsstaatliche Leistung. Das Instrumentarium der Diversion ermöglicht zudem Sanktionen ohne formale Verurteilung. Wenn sich Kanzler Kurz um die Lebensläufe von Menschen sorgt, denen durch Strafverfahren trotz Einstellung oder Freispruch Schaden zugefügt worden ist, dann sollte er sich für eine Reform der in Österreich immer noch eher kargen strafrechtlichen Entschädigung und des Kostenersatzes in Strafprozessen einsetzen. Davon würden nicht nur ehemalige Beschuldigte in Korruptionsverfahren profitieren.

Für die Justiz wäre es wünschenswert, dass sie auf dem Gebiet des angewandten Korruptions- und Wirtschaftsstrafrechts auf Datenmaterial zurückgreifen kann, das keinen Raum für Interpretationsmissverständnisse eröffnet. (Walter Fuchs, 18.2.2021)