Farben und nackte Haut: Der Kärntner und Verehrer von Paul Cézanne Anton Kolig stellte gern die Körper junge Männer dar. Im Bild: "Sitzender Jüngling (Am Morgen)".

Foto: Leopold-Museum, Wien / Manfred Thumberger

Schon draußen vor der Tür des Leopold-Museums steht ein Aufseher. Er kontrolliert, ob sich bereits sieben Leute im Kassenbereich aufhalten, und erteilt dann die Eintrittserlaubnis. Dieser Tage dürfen sich nicht mehr als 200 Besucher gleichzeitig im Museum aufhalten; in normalen Zeiten sind es rund tausend Gäste. Ohne Touristen ist man aber schon froh, wenn über den Tag verteilt 400 Tickets verkauft werden.

Die Pandemie hat dem Leopold-Museum ein ordentliches Loch ins Budget gerissen, und so muss Direktor Hans-Peter Wipplinger sparen. Eine Schau der Schweizer Moderne-Sammlung Emil Bührle fiel dem Rotstift zum Opfer. Adieu, große Sonderausstellungen! Bis auf weiteres heißt es sich auf die eigenen Bestände konzentrieren. Eine Aufgabe, die dem Leopold-Museum im 20. Jahr seines Bestehens nicht schwerfällt.

Wie das funktioniert, führt die Schau Menschheitsdämmerung derzeit mit rund hundert Gemälden aus der Zwischenkriegszeit vor. Die Schau ist als eine Art Weiterführung der permanenten Präsentation gedacht. Ihr Titel entstammt einer Lyrik-Anthologie, die 1919 expressionistische Dichtung bündelte und zu einem der wichtigsten Bände der damaligen Zeit wurde. Der Expressionismus hallt auch bei den elf österreichischen Malern nach, die jetzt gezeigt werden.

Lange vernachlässigt

Bereits 2007 widmete sich Rudolf Leopold in der Schau Zwischen den Kriegen der Generation nach Klimt und Schiele. Die heimische Kunst der Jahre 1918 bis 1938 wurde lange missachtet, galt sie doch als zu wenig originell. Denn die Abstraktion als international wichtigste Strömung fand hierzulande keinen fruchtbaren Boden, und die spätexpressionistischen oder neusachlichen Hervorbringungen galten als Nachahmungen.

Durch zahlreiche Ausstellungen und Monografien und gestiegene Preise am Kunstmarkt hat sich diese Einschätzung geändert. Es macht viel Sinn, im Leopold-Museum zuerst die Dauerpräsentation im Erdgeschoß zu besuchen. Dort ist auch viel Schräges zu finden, etwa das Gruppenbild Die Hoffnung von Otto Rudolf Schatz oder Franz Sedlaceks verhärmter Chemiker. Am Beginn der eigentlichen Ausstellungen im Souterrain hängt ein Mädchenkopf von Alfons Walde. Soll ihr überschatteter Blick die "lyrische Empfindsamkeit" aus dem Untertitel der Schau ausdrücken? Schnee konnte der Kitzbüheler Selbstvermarkter und -kopist eindeutig besser malen als Gesichter, wie seine Bergbilder beweisen. Kirchgang, das größte der versammelten Gemälde, hat Leopold seinerzeit direkt aus einer Tiroler Gaststube herausgekauft.

Ein anderer Egger-Lienz

Für kernige Kerle war auch Albin Egger-Lienz gut, aber die Schau zeigt nicht nur die bekannten Darstellungen von Bauern und Soldaten des Osttirolers. So überrascht etwa ein Landschaftsbild, welches das Meer bei der Insel Cres zeigt, oder das eigenwillige Porträt von des Künstlers kleiner Tochter Ila, die auf einem Großformat im Gitterbett dargestellt ist.

Während Egger-Lienz typischerweise gedeckte Farben verwendete, griff der zwanzig Jahre später geborene Anton Kolig farblich ins Volle. Der Kärntner Künstler mit der Vorliebe für gut gebaute Jünglinge war wie so viele seiner Altersgenossen ein Bewunderer von Paul Cézanne. Anleihen bei der französischen Malerei lassen auch die Landschaften von Herbert Boeckl, Anton Faistauer oder Gerhart Frankl erkennen.

Beim Rundgang sind es oft stilistische Ausreißer, die länger verweilen lassen. So etwa Boeckls gruseliges Porträt Josef von Wertheimstein von 1921, das ob seiner dicken Ölschicht wie der Kopf eines Verbrannten ohne erkennbare Gesichtszüge aussieht. Der steirische Künstler Alfred Wickenburg gestaltete seinen Frühling in Park als albtraumhafte Szenerie, bei der alles entwurzelt erscheint.

Aber wo bleiben die Künstlerinnen? Dass es da zuhauf Qualität gab, hat die Schau Stadt der Frauen im Belvedere 2019 eindrücklich bewiesen. "In unserer Sammlung haben wir leider kaum Künstlerinnen", bedauert Direktor Wipplinger. Komisch, denn 2007 waren in Zwischen den Kriegen noch Helene Funke, Erika Giovanna Klien und My Ullmann vertreten. Ihre Leistungen nun einfach wieder zu unterschlagen ist garantiert keine Lösung. (Nicole Scheyerer, 18.2.2021)