Etwa 15 Prozent der Bevölkerung trinken in der Krise mehr, 15 Prozent trinken weniger. Das sage aber wenig über das problematische Trinkverhalten aus. Die Folgen der Corona-Krise auf das Suchtverhalten werden sich erst zeitverzögert zeigen.

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Es ist einer der Kollateralschäden, die die Corona-Pandemie im Gesundheitssystem mit sich gebracht hat: die Behandlung von Suchtkranken. In sechs Bundesländern sind in der ersten Corona-Welle im Vorjahr vorübergehend stationäre Einrichtungen der Suchthilfe geschlossen worden, wie eine Studie der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) zeigt.

Das habe zu Aufnahmestopps und auch Therapieabbrüchen bei Betroffenen geführt, sagt Studienautor Julian Strizek. Es sei zwar versucht worden, stationäre Behandlungen mit sozialarbeiterischen Maßnahmen aufzufangen. "Das hat aber oftmals nicht funktioniert, und es kam auch zu Rückfällen", sagt Strizek. Ein plötzlicher Behandlungsabbruch sei bei suchtkranken Patienten freilich nicht vorteilhaft.

Für die Studie im Auftrag der Stiftung des Anton-Proksch-Instituts Wien wurden im Oktober und November Interviews mit den neun Sucht- und Drogenkoordinatoren der Bundesländer geführt. Die Schließung der Einrichtungen erfolgte teils explizit, um Betten für Covid-19-Patienten freizuhalten. Mehrfach sei berichtet worden, dass diese Betten letztlich aber nie für diese Zwecke genutzt wurden.

Einige wollten Lockdown zur Abstinenz nutzen

Die geschlossenen Behandlungsangebote hatten auch Auswirkungen auf Personen, die zu diesem Zeitpunkt gerade motiviert waren, eine Behandlung zu beginnen. "Erfahrungen zeigen, dass es oft nur ein kleines Zeitfenster der Behandlungsmotivation gibt", sagt der Studienautor. Deshalb würden Betroffene das Angebot möglichst sofort benötigen. "Einige wollten den Lockdown auch nutzen, um Abstinenz anzustreben", betont Strizek. Doch viele niederschwellige und tagesstrukturierende Angebote für Suchtkranke wurden eingestellt, wie etwa Kontaktcafés oder auch Angebote zur Reintegration in den Arbeitsmarkt.

Ambulante Einrichtungen haben zwar versucht, die Klientinnen und Klienten über Internet und Telefon zu beraten. Das stelle aber keinen vollwertigen Ersatz für den persönlichen Kontakt dar, erklärt der Psychologe Alfred Uhl. Es gebe auch Patientinnen und Patienten, die nicht mehr erreichbar seien.

Stark von den Einschränkungen betroffen war auch die Suchtprävention, die vor allem an den Schulen angeboten wird. Die Workshops in den Klassen konnten nur zu einem geringen Teil online durchgeführt werden.

15 Prozent trinken mehr, 15 Prozent weniger

Die Folgen der Corona-Krise auf das Suchtverhalten werden sich erst zeitverzögert zeigen, sagt Martin Busch von der GÖG. Menschen werden immer dann krank, wenn die ärgste Belastung vorbei ist – das gelte auch für psychische Belastungen. "Man funktioniert, verbraucht seine Batterien und merkt psychische Probleme erst, wenn die Krise vorbei ist", erläutert Busch. Zudem sei zu befürchten, dass sich das volle Ausmaß der Krisenauswirkungen erst mit Auslaufen der aktuellen Unterstützungsmaßnahmen – etwa der Kurzarbeit – zeigen wird.

Derzeit gebe es noch keine eindeutigen Daten zu Veränderungen im behandlungsrelevanten Konsumverhalten, erläutert Julian Strizek. Eine Befragung von 6.000 Personen zum Alkoholkonsum während des Lockdowns habe gezeigt, dass der Großteil der Bevölkerung sein Konsumverhalten wenig geändert habe, ergänzt Martin Busch. "Etwa 15 Prozent der Menschen trinken in der Krise mehr, 15 Prozent trinken weniger." Das sage aber wenig über das problematische Trinkverhalten aus. Es werde weniger getrunken, weil die Gastronomie weggefallen ist. Mehr getrunken werde, weil mehr Freizeit vorhanden sei. Auch Leute, die sich durch die Krise belastet fühlen, würden zu einem erhöhten Konsum neigen, sagt Busch. (Stefanie Ruep, 17.2.2021)