Die Lubjanka, wo sich viele Straßen kreuzen, braucht eine "architektonische Dominante", sprich: ein Denkmal.
Foto: imago images/ITAR-TASS

Denkmäler verkörpern Werte. Russland bezeichnet sich in Abgrenzung zum Westen als Land der "traditionellen Werte". Umso bemerkenswerter verläuft die Debatte um die Aufstellung eines Denkmals im Moskauer Zentrum. Konkret geht es um den Lubjanka-Platz, 500 Meter Luftlinie vom Roten Platz entfernt, an den sich die Geheimdienstzentrale, das zentrale Kinderkaufhaus Djetski Mir und das Polytechnische Museum anreihen.

Der weiträumige Platz, an dem sich eine Vielzahl von Straßen kreuzt, braucht eine "architektonische Dominante" – darüber sind sich die Experten einig. Historisch hatte der Platz zwei solcher Mittelpunkte. Zunächst wurde er von einem Springbrunnen geschmückt. An dessen Stelle rückte dann zu Sowjetzeiten das Denkmal für Felix Dserschinski.

Umstrittene Persönlichkeit

Dserschinski, ein Revolutionär der ersten Stunde, gründete auf Befehl Lenins nicht nur die Tscheka, den Vorläufer des sowjetischen Geheimdiensts KGB, sondern gilt auch als Erschaffer der bolschewistischen Konzentrationslager zur Zeit des Roten Terrors, den er anführte. Die Schätzungen über die Anzahl an Todesopfern, die der Rote Terror zwischen 1918 und 1922 forderte, schwanken zwischen 140.000 und zwei Millionen.

1991, nach dem missglückten Putschversuch von Hardlinern aus dem Politbüro gegen Michail Gorbatschow, stürzten Demonstranten die elf Tonnen schwere und fast sechs Meter hohe Bronzeskulptur des einstigen Geheimdienstchefs. Seither steht sie in einem Skulpturenpark.

Mehrfach gab es Versuche, Dserschinski wieder an seinen ursprünglichen Platz zu stellen. Der erfolgversprechendste ist gerade angelaufen: Nach einer Petition des Interessenverbands der Sicherheitsorgane "Offiziere Russlands" an Generalstaatsanwalt Igor Krasnow gilt die Kandidatur Dserschinskis als aussichtsreich. Unterstützung bekam das Anliegen unter anderem vom konservativ-imperialistischen Schriftsteller Sachar Prilepin.

Entscheidung per Referendum

Immerhin hat sich die Moskauer Stadtduma dafür ausgesprochen, die Frage in einem Referendum zu klären. Dieses könnte zeitgleich mit der Wahl zur Staatsduma im Herbst stattfinden. Die Auswahl ist allerdings recht begrenzt: Neben Dserschinski haben es Juri Andropow, Zar Iwan III. und der russische Großfürst Alexander Newski auf die sogenannte Shortlist geschafft.

Andropow war der am längsten amtierende Geheimdienstchef in der Sowjetunion. Er leitete von 1967 bis 1982 den KGB. Anschließend wurde er Generalsekretär der KPdSU und damit sowjetischer Staatschef bis zu seinem Tod 1984. Andropow gilt als Vorbild für den jetzigen russischen Präsidenten Wladimir Putin, der ebenfalls aus dem KGB stammt.

Newski hat im 13. Jahrhundert mit der Schlacht am Peipussee die Expansionsversuche des Deutschen Ordens im Baltikum gestoppt. Er gilt als erfolgreicher Heerführer und Nationalheld und wurde bei einer Online-Umfrage 2008 zum größten Russen aller Zeiten gewählt.

"Sammler der russischen Erde"

Iwan III. ist ebenfalls als erfolgreicher Heerführer in die Geschichte eingegangen. Weil er Russland von den Tributzahlungen der Goldenen Horde befreite und eine Reihe russischer Fürstentümer ins Moskauer Reich eingliederte, bekam er den Beinamen "Sammler der russischen Erde", der später von konservativen Kreisen in Russland nach der Krim-Annexion auf Putin übertragen wurde.

Die Auswahl demonstriert auch die politische Ausrichtung Moskaus. Der Vorschlag des Kunsthistorikers Andrej Batalow, vor der Geheimdienstzentrale ein Mahnmal für die Opfer der Repressionen zu setzen, die speziell in den 1930er-Jahren während des Großen Terrors aus den Folterkellern der Lubljanka zur Erschießung gebracht wurden, fand so keine größere Beachtung. (André Ballin, 18.2.2021)