Hallo Hyperkapitalismus: "I want to hear about your problems", sagt der ausgestopfte Dachs von Krištof Kintera.
Foto: saLeh roZati

Minikleine Figuren tragen die borstigen Haare, den Kot, das Blut, ja sogar den Zahnschmelz aus dem Mundraum und das Horn der Fußnägel akribisch ab. Über schmale Leitern und Brücken transportieren sie die Materialien in Wägelchen in Stollen in der Wand. Ja auch die Körpersekrete aus Nase, Ohren und Augen landen dort. Der Raubbau läuft wie am Schnürchen, nichts bleibt unversehrt. "Das arme Ding", denkt man sich verurteilend, um sich im nächsten Moment für sich selbst zu schämen.

Dieses riesige Wesen liegt rücklings in der Galerie der Universität für angewandte Kunst im Heiligenkreuzer Hof. Es ist dreidimensionales Wimmelbild und gruselig-treffende Metapher für das, was wir Menschen mit unserer Erde veranstalten. Die präzise Installation des Künstlerduos Böhler & Orendt bildet den Höhepunkt der Ausstellung Der Angriff der Gegenwart – Aussichten im Postwachstum, die bereits im Dezember eröffnet wurde und nun bis April verlängert werden konnte. Online geben kurze Videoclips einen ersten Vorgeschmack.

Shame on us: Metaphorischer Raubbau von Böhler & Orendt.
Foto: saLeh roZati

Darin werden 18 künstlerische Positionen zu unserer Gegenwart (und dem Danach) gezeigt: Was tun wir da? Welche Alternativen gibt es? Überraschenderweise sind dabei aber weder wahnsinnig dystopische noch übertrieben utopische noch belehrende Sichtweisen zu finden. Auch dokumentarisch sollte die Zusammenstellung nicht werden, sagt Barbara Horvath, die mit Brigitte Felderer, Nina Pohler und Alexandra Strickner kuratiert hat.

Vielmehr sollen die Beiträge der eingeladenen Künstler und Künstlerinnen Bilder erschaffen und so unsere Vorstellung von Gegenwart und Zukunft erweitern. Der Anlass ist immerhin ein andauernder globaler Notstand. Und nein, damit ist nicht die Pandemie gemeint.

Es ist nicht zu spät!

Eine futuristische Szene lässt mit einer versteinerten Zapfsäule aus Kalkstein (Allora & Calzadilla) einen ersten Blick in eine Zukunft werfen, in der entweder der Treibstoff nicht mehr verfügbar ist – oder der Mensch endlich eine Alternative gefunden hat. Herwig Turk hingegen zeigt mit Fotografien des oberitalienischen Tagliamento – einer der letzten weitgehend unregulierten Flüsse Europas – den Ist-Zustand, erinnert aber gleichzeitig an eine karge, verwaiste Landschaft. Wird unser Zuhause einmal so aussehen?

Es ist noch nicht zu spät! So lautet die Quintessenz der Arbeit im Herzen der Schau, die sich der nüchternen Informationsvermittlung widmet: Nina Pohler, Alexandra Strickner und Maria Kanzler (Grafik) möchten mit falschen Sichtweisen auf die Klimakrise aufräumen und argumentieren anhand von Zahlen und Diagrammen, warum wir dort sind, wo wir sind – und was sich strukturell ändern müsste. Und vor allem wer: Jeder kann einen Beitrag leisten, der allerdings unterschiedlich groß ist. Man habe keinen "Avocado-Diskurs" gewollt.

Arrangements wie der Schriftzug von Nikolaus Gansterer, der aus weggeworfenen Objekten und Müll besteht, oder die Rauminstallation von Nicole Six und Paul Petritsch (mit echter Mooreiche!), bei der Wildnisaufnahmen aus dem Waldviertel laufen, sprechen für sich – ohne viel sagen zu müssen. Der ausgestopfte Dachs von Krištof Kintera hält ein Schild hoch: "I want to hear about your problems". (Katharina Rustler, 18.2.2021)