Kommunikation erfordert im digitalen Raum mehr Konzentration als im physischen.

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Jennifer Nicolay ist Projektleiterin bei der Joblinge gAG Frankfurt und Geschäftsführerin der Digital Works UG.

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Im Badezimmer steht ein junger Mann, mit Mantel und Aktentasche, die linke Hand an der Stange des Duschvorhangs. Im Hintergrund scheppert eine U-Bahndurchsage. Das TikTok-Video wackelt und erinnert tatsächlich an eine Fahrt zur Arbeit. Es ging vor knapp einem Jahr um die Welt und fand zahlreiche Nachahmer, die sich ebenfalls seit kurzem im Homeoffice befanden. Die Plattform TikTok hat damals wie keine Zweite mit ihren witzigen und ergreifenden Mini-Videos gezeigt, wie Menschen sich weltweit im Lockdown fühlten – und dass sie nicht allein in der beunruhigenden neuen Situation waren. Nach einem Jahr ist vielerorts Routine im neuen Leben zu Hause eingekehrt, die Bedürfnisse nach stärkeren Beziehungen im digitalen Raum – wenn schon nicht im physischen – und einem adäquaten Umgang mit den neuen Anforderungen von Homeoffice und Homeschooling bleiben. Die tiefgreifenden Veränderungen durch die Pandemie werden auch nach Corona noch Auswirkungen auf Leben, Arbeiten und Bildung haben. Heute können wir uns die entscheidende Frage stellen: Wie wollen wir danach leben, arbeiten und lernen?

Bildung für die Zukunft

Lernen kann dabei helfen, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Doch was bedeutet Lernen im 21. Jahrhundert, und welches Wissen nützt uns angesichts der schnellen Veränderungen? Genau damit beschäftigt sich seit vielen Jahren die Europäische Kommission und hat ein Rahmenwerk für digitale Kompetenz herausgearbeitet – die aktuellste Version ist das Digital Competence Framework 2.1. Digitale Kompetenzbildung, so die Idee, legt einen zeitlosen und beständigen Grundstein. Bürgerinnen sollen die Vielzahl an Informationen kritisch reflektieren und einordnen können, befähigt werden, digitale Tools zu nutzen, um an ihr Ziel zu kommen. Und zwar nicht nur als Konsumenten, sondern als aktive Teilnehmerinnen.

Neben Information, Kollaboration, Kreativität, kritischem Denken und Problemlösung gibt es ein ganzes Kapitel zur Kommunikation. Es geht etwa darum, fair und transparent zu kommunizieren und die Netiquette zu beherzigen – eine Art Digital-Knigge zum respektvollen Miteinander im Netz. Im Grunde geht es nicht um konkretes Wissen, sondern um Mündigkeit, eine respektvolle Haltung und solidarisches Zusammenarbeiten, das das eigene Verständnis vertieft und die Bedürfnisse anderer in den Blick nimmt.

New Work und agiles Arbeiten – beziehungsstärkend und lernfördernd

Mit guter Kommunikation schafft man auch eine positive Bindung im schulischen und beruflichen Kontext. So können Einzelne freier lernen und arbeiten und ihre Fähigkeiten entfalten. Grundsätze, die in sogenannten agilen Teams und im New-Work-Ansatz nach Frithjof Bergmann zentral sind und jetzt nicht zufällig passen, sondern eben immer schon eine Antwort auf starke Veränderungsdynamiken und die daraus resultierenden Herausforderungen waren. Die Pandemie ist so eine Dynamik und das Bedürfnis nach mehr Beziehung im Digitalen und nach verbesserter Kommunikation eine der Herausforderungen.

Die Haltung, die hinter dem Konzept steht, passt genau in den Geist der Zeit und liefert erstaunlich wirksame Methoden – zum Beispiel Reflexionsrunden, tägliche Stand-ups, also 15-Minuten-Meetings zum aktuellen Status, und regelmäßige transparente Bewertungen der Ergebnisse. Pläne werden auf öffentlichen Pinnwänden festgehalten, Vereinbarungen nicht verschoben, sondern man spricht dann offen an: Woran lag es? Was brauchst du? All das geht auch digital und ermöglicht einen sozialen Lernprozess. Mit dem ist es wiederum möglich, ganz individuelle Ziele mit den gemeinsamen Zielen einer Gruppe zu vereinbaren.

Müssen wir im digitalen Raum Kommunikation neu lernen?

In gewisser Weise hilft es beim digitalen Beziehungsaufbau, Kommunikation neu zu denken. Kommunikation erfordert im digitalen Raum mehr Konzentration als im physischen. Die Körpersprache ist schwerer zu lesen, aber essenziell für uns, um zu erkennen, ob das Gesagte mit dem Gemeinten übereinstimmt. Wenn ich sage, ich sei offen, eine neue Methode auszuprobieren, dabei aber meine Arme verschränke und mich abwende, dann passt das nicht zu meiner Aussage. Im Raum fällt das sofort auf und Bedürfnisse lassen sich dadurch schneller erkennen. Im Digitalen muss ich Stimmungsbilder viel aktiver erfragen – dazu braucht es nicht unbedingt digitale Tools, manchmal reichen auch Stift und Papier, um sich selbst, die Woche, das letzte Projekt oder die Zusammenarbeit zu reflektieren. Wer das beherzigt, stärkt die Bindung und das Vertrauen. Besonders einfach und beziehungsfördernd sind im digitalen Raum – wie übrigens auch im analogen – aktives Zuhören mit bewusstem Fokus auf die Bedürfnisse des Gegenübers und Empathie. Eigentlich nichts Neues, aber es scheint, dass wir das in der digitalen Welt manchmal vergessen.

Welche Lehren haben Sie aus den vergangenen Monaten digitaler Kommunikation gezogen?

Kann digitale Kommunikation persönliche Kommunikation ersetzen? Was konnten Sie bei Verwandten oder im Freundeskreis beobachten? Konnten Sie anderen Menschen helfen, digital besser zu kommunizieren? (Jennifer Nicolay, 25.2.2021)