Antivirale Medikamente und monoklonale Antikörper wirken vermutlich nur in der Frühphase der Erkrankung, erklärt Intensiv- und Notfallmediziner Michael Joannidis. "In der späteren Phase sind sie wirkungslos."

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Covid-19 ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern. Das macht sich auch im zeitlichen Verlauf der Erkrankung deutlich – und darin, welche Medikamente zum Einsatz kommen. "Je nach Zeitpunkt können Medikamente im Verlauf der Erkrankung unterschiedlich wirken", sagt Michael Joannidis, Leiter der internistischen Intensiv- und Notfallmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin Innsbruck.

Covid-19 verläuft vielfach in zwei Phasen. Am Beginn stehen die Virusvermehrung und das Eindringen der Viren in die Zellen im Vordergrund. In der Phase, in der sich die Viren vermehren und Zellen befallen, sind sie als Antigene aktiv. Sie sind Moleküle, die das Immunsystem als körperfremd erkennt, und sie lösen eine Immunreaktion aus. Gegen die Antigene bildet das Immunsystem Antikörper.

In dieser frühen Phase versuchen Ärzte in erster Linie mit Medikamenten einzugreifen, die die Virusvermehrung bremsen beziehungsweise die Viren inaktivieren. Das einzige in Europa zugelassene Medikament dafür ist das Ebola-Medikament Remdesivir. Allerdings scheint der Nutzen nur moderat zu sein. "Da gibt es widersprüchliche Ergebnisse in Hinblick auf eine Verringerung der Sterblichkeit", sagt Joannidis.

Im Einzelfall: Remdesivir

Eine Studie der WHO habe diesbezüglich keinen Effekt für Remdesivir zeigen können. "Und auch in einer großen Studie, an der wir beteiligt sind, haben unsere untersuchten Intensivpatienten nicht von antiviralen Medikamenten wie Remdesivir in Sachen Überleben profitiert." Allerdings habe das Medikament die Anzahl der Tage mit Symptomen um fast fünf reduziert – und damit auch die Krankenhausaufenthaltsdauer.

Joannidis und seine Kollegen setzen Remdesivir im Einzelfall ein, wenn die erkrankten Patienten laut Laborbefunden eine hohe Viruslast aufweisen oder sehr früh nach Auftreten der ersten Krankheitssymptome auf der Intensivstation landen. Zudem kommen in der Frühphase Antikörper zum Einsatz, beispielsweise in der Form eines Rekonvaleszentenserums. Dabei handelt es sich um ein aus dem Blut von Genesenen gewonnenes Serum, das Antikörper enthält. Es wird Patienten verabreicht, die selbst nicht ausreichend Antikörper bilden.

Inzwischen gibt es auch Präparate mit sogenannten monoklonalen Antikörpern. Sie richten sich gegen das Spike-Protein des Virus, mit dessen Hilfe es an die menschlichen Zellen andockt und in sie eindringt. Auch hier gibt es bereits eine Notfallzulassung der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA). Ergebnisse von großen Studien stehen noch aus. Es gebe aber klare Hinweise, dass die Antikörper in der Frühphase den Schweregrad der Erkrankung abbremsen, so der Experte.

Richtiges Timing

Dabei ist die medikamentöse Behandlung eine Frage des Timings. "Antivirale Medikamente wie Remdesivir und monoklonale Antikörper wirken vermutlich nur in der Frühphase einer Erkrankung", erklärt Joannidis. "In der späteren Phase sind sie wirkungslos." Denn in der zweiten Phase der Erkrankung haben Ärzte und Patienten mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Es kommt im Falle von schweren Verläufen zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, die Ärzte unter Kontrolle zu bringen versuchen.

Die Übeltäter sind Zytokine – Immunbotenstoffe –, die die Entzündungsreaktionen auslösen und wohl auch zu Entzündungen der Lungen beitragen. "Hier gibt es Antikörper gegen bestimmte Zytokine wie Interleukin eins oder sechs", erklärt der Mediziner. Solche Antikörper werden unter anderem in der englischen Recovery-Studie untersucht. "Kollegen haben berichtet, dass die Antikörper wohl bei Patienten, die auf die Intensivstation kommen, einen Nutzen haben."

Am besten etabliert hat sich bisher der Ansatz, die Entzündungen mit Steroiden zu behandeln. Auch hier spielt in der medikamentösen Behandlung der Zeitpunkt eine große Rolle. Diese Medikamente geben Ärzte nicht in der frühen Phase. Denn wenn die Lunge der Patienten kaum betroffen ist, sind Steroide möglicherweise sogar schädlich, weil sie die Immunantwort unterdrücken. Wenn die Immunantwort aber überschießt, machen Steroide eine invasive Beatmung nicht mehr notwendig.

Zweite Phase: Drahtseilakt

Um das akute Lungenversagen (ARDS) in der zweiten Phase zu verhindern, untersuchen einige noch laufende Studien einen Nutzen von Substanzen, die man inhaliert. Diese Medikamente reduzieren den Flüssigkeitsaustritt in die Lungenbläschen und sollen so ein Kollabieren der Lunge verhindern. Daneben gibt es noch Patienten, die aufgrund der Entzündungsreaktionen auch vermehrt zu der Bildung von Blutgerinnseln neigen. Michael Joannidis und seine Kollegen geben Patienten auf der Intensivstation, die sowieso schon ein erhöhtes Risiko für Thrombosen mitbringen, daher blutverdünnende Mittel.

Kritisch krank werden die Patienten meist in dieser zweiten Phase, wo die überschießenden Entzündungsreaktionen eine Rolle spielen. Das ist ein Drahtseilakt für die behandelnden Mediziner. "Man darf das Immunsystem nicht zu stark unterdrücken, sonst besteht die Gefahr von anderen Infektionen", sagt Joannidis. Außerdem kann die medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems dazu führen, dass es nicht mit dem Coronavirus fertig wird."

Antivirale Medikamente und monoklonale Antikörper wirken vermutlich nur in der Frühphase der Erkrankung, erklärt Intensiv- und Notfallmediziner Joannidis. Später sind sie wirkungslos. (Christian Wolf, 24.2.2021)