Innenminister Karl Nehammer will sich die scharfe Kritik an der Wiener Polizei, die PR-Berater Rudolf Fußi auf Twitter äußerte, nicht gefallen lassen. Das Innenministerium prüft deswegen rechtliche Schritte. Juristen und Politiker sehen in dem Vorgehen einen Einschüchterungsversuch und sind alarmiert.

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Etwa 30 Stunden lang war Sendepause, und die Website des Innenministeriums war nicht erreichbar. Ein Hardware-Defekt sei der Grund dafür gewesen, sagt Innenministeriumssprecher Patrick Maierhofer. Meldestellen, Kontaktmöglichkeiten für Bürger und andere wichtige Services seien nicht betroffen gewesen. Um die Inhalte auf der Website nicht zu verlieren, schalte sie sich in so einem Fall automatisch ab, so Maierhofer.

Und diese Inhalte haben es in sich, denn ruft man die Seite Donnerstagfrüh auf, wird man von folgender Nachricht begrüßt: "Innenministerium prüft rechtliche Schritte gegen Rudolf Fußi". Flankiert wird diese Ankündigung von einem lächelnden Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

Tweet als Auslöser

Der Hintergrund: Der PR-Berater Fußi hatte in einem Tweet das Vorgehen der Polizei bei den Demonstrationen der Corona-Gegner in Wien sowie bei der Abschiebung von Kindern und Jugendlichen vor zwei Wochen scharf kritisiert – Polizeihunde seien intelligenter als der Durchschnittsmitarbeiter der Landespolizeidirektion Wien, schreib er unter anderem. Der Tweet ist mittlerweile gelöscht, was nichts daran ändert, dass das Innenministerium seit fünf Tagen rechtliche Schritte gegen Fußi prüft.

"Sogenannte Polit-Aktivisten, die die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten diskreditieren und diese darüber hinaus noch beleidigen, dürfen nicht unkommentiert bleiben", wird Nehammer auf der BMI-Website zitiert. Ein derartiges Verhalten sei genauso gefährlich für das demokratische Zusammenleben wie das Verbreiten von Verschwörungstheorien oder extremistische Ansichten, sagt der Innenminister in dem Artikel außerdem.

Für die Medienrechtsanwältin Maria Windhager – sie vertritt auch den STANDARD – ist die Sache klar: "Ich sehe keine Ansatzpunkte." Um welche Tatbestände könnte es gehen? Klassischerweise würde man an üble Nachrede oder Beleidigung denken, meint Windhager. Das könne aber nur von einer konkret betroffenen natürlichen Person geltend gemacht werden. Auch die Amtsbeleidigung sieht sie in diesem Fall nicht gegeben. "Zentral ist in diesen Fragen die konkrete Beziehbarkeit. Und bei einem so großen Kollektiv (der Landespolizeidirektion Wien, Anm.) geht sich das nicht aus." Auch Ehrenkränkungsdelikte im Verwaltungsrecht seien denkbar, "aber auch die setzen eine konkrete Beziehbarkeit voraus".

Juristen und Politiker sehen Einschüchterungsversuch

Die Aussendung löse "große Irritation" bei der Medienrechtsexpertin aus. Nicht nur weil sie keine straf- oder verwaltungsrechtliche Relevanz von Fußis Aussagen erkennt. "Seine Äußerungen werden gleichgesetzt mit Verschwörungstheorien und extremistischen Ansichten. Das ist eine ungeheuerliche Fehleinschätzung." Windhager findet es in Ordnung, wenn sich der Innenminister hinter seine Beamten stellt. "Aber diese Reaktion halte ich für äußerst problematisch. Das ist ein ganz klarer politischer Einschüchterungsversuch."

Ganz ähnlich kommentiert das die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper auf Twitter. Sie spricht von einer Einschüchterung von Bürgern. Auch die SPÖ-Abgeordnete Selma Yildirim hält die Vorgänge für "unfassbar". Der Bürgermeister von Trumau und SPÖ-Nationalratsabgeordnete Andreas Kollross übt ebenfalls scharfe Kritik, die grüne Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic zog einen Vergleich zur Türkei.

Von einem "Einschüchterungsversuch" spricht auch der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Anders sei nicht zu erklären, wieso das Innenministerium bereits seit fünf Tagen rechtliche Schritte prüfe.

Wie Selbstzensur entsteht

Windhager nennt in dem Zusammenhang den Artikel 10 der Menschenrechtskonvention zur Meinungsäußerungsfreiheit. Dort sei explizit festgehalten, dass Aussagen auch beleidigen, schockieren oder stören können. Lasse man derartige Kritik nicht zu, komme es zu sogenannten "chilling effects": Menschen beginnen sich aus Angst selbst zu zensurieren.

Hier sieht auch Fußi selbst die große Gefahr: "Ich kann mich wehren. Aber hier geht es ja nicht um mich." Einerseits sieht er das Vorgehen als Signal an die Polizisten, andererseits seien die Vorgänge ein "Ausdruck höchster Nervosität", dazu würden auch die Klagen gegen Blümel-Kritiker auf Social Media passen, so Fußi. "Das alles ist schon eine neue Qualität, gegen Bürger vorzugehen."

BMI sieht "Hass im Netz"

Am Donnerstagmittag reagierte das Innenministerium auf die zahlreiche Kritik. Soziale Medien seien "kein rechtsfreier Raum", wird auf Twitter und auch von Sprecher Maierhofer betont. Der Sachverhalt sei mittlerweile "unterwegs in Richtung Staatsanwaltschaft." Weil es sich um ein so genanntes Ermächtigungsdelikt handle und die betroffene Behörde zunächst zustimmen musste, habe es etwas gedauert. Die Staatsanwaltschaft prüfe dann ob eine Übertretung passiert ist, dabei gehe es laut Maierhofer um Beleidigung oder üble Nachrede. "Gegen Hass im Netz muss man vorgehen, egal von welcher Seite er kommt."

Dass der Konflikt prominent auf der BMI-Startseite zu finden ist, sei hingegen ein Missverständnis gewesen, stellt der Sprecher klar. Wegen des Hardwaredefekts wurden auf der Website heute die Inhalte von Stand Sonntag dargestellt. Es habe sich also um eine alte Version und um keine Provokation gehandelt. Aussendungen würden immer automatisch auf der Website aufscheinen, so auch diese, die am Sonntag online ging. (Lara Hagen, 18.2.2021)