Mehrere Theorien zum Zusammenhang von Covid-19 und Blutgruppen werden aktuell diskutiert. Schon länger ist bekannt, dass Menschen mit Blutgruppe 0 eine langsamere Blutgerinnung haben – sie kommen bei einer Infektion tendenziell glimpflicher davon.

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Was jeden Menschen unverwechselbar macht, ist nicht nur sein Fingerabdruck, die Iris seiner Augen oder die Biometrie seines Gesichts – seine roten Blutkörperchen machen ihn ebenso einmalig. "Viele Gene bestimmen, welche Kombination aus rund 360 verschiedenen Proteinen und Kohlehydraten sich auf der Oberfläche jener scheibenförmigen Zellen befindet, die jeden Winkel des Körpers mit lebenswichtigem Sauerstoff versorgen", sagt Günther Körmöczi von der Medizinischen Universität Wien. Er arbeitet dort als Transfusionsmediziner und Blutgruppenforscher. Er und seinen Kolleginnen und Kollegen nennen die einzelnen Moleküle darauf Antigene und sortieren sie in 39 eigenständige Systeme mit Namen wie AB0, Rhesus, Kell, Duffy, Kidd, Diego oder Lewis.

Viele dieser Moleküle in der Oberflächenstruktur steuern wichtige Funktionen in der Zelle, beispielsweise um Nahrung und Abfälle durch die Zellmembran zu transportieren oder um mit anderen Zellen zu kommunizieren. Doch Forscher versuchen seit längerem, noch mehr aus diesen Antigenen abzulesen. Die individuelle Oberflächenstruktur ermöglicht es dem Immunsystem, auch körperfremde Zellen zu erkennen und eine Abwehrreaktion einzuleiten, zum Beispiel gegen Bakterien, Viren oder Allergene sowie unbekannte Antigene in Spenderblut oder im Blut Ungeborener.

Tatsächlich nachgewiesen ist ein Zusammenhang bislang aber nur für wenige Antigene. Darunter die für den Menschen wichtigsten AB0 und Rhesus. "Bei weltweit jährlich geschätzten 50 Millionen Bluttransfusionen spielt vor allem AB0 und in zweiter Reihe dann auch das Rhesus-Antigen die entscheidende Rolle, ob der Blutempfänger die Spende überlebt", erklärt Christoph Gassner, Zürcher Biologe und Experte für Blutgruppen.

Früher ein Glücksspiel

Dies war vor der Jahrhundertwende noch ein Glücksspiel. Erst 1901 vermutete der Wiener Pathologe Karl Landsteiner als Erster, dass es im Blut mindestens zwei Stoffe geben muss, die für eine erfolgreiche Transfusion zusammenpassen müssen, damit das Immunsystem die körperfremden Zellen nicht angreift, sie verklumpt und der Mensch stirbt. Landsteiner unterteilte das menschliche Blut in die Gruppen A, B und 0 und entwickelte einen ersten Test zur Blutgruppenbestimmung. Der spätere Nobelpreisträger rettete damit unzählige Leben.

1937 entdeckte Landsteiner zusammen mit dem US-Serologen Alexander Wiener dann auch die Bedeutung des Antigens Rhesus. Es ist bei größeren oder häufigen Transfusionen und bei der Schwangerschaft von Bedeutung, um gefährliche Unverträglichkeiten zu vermeiden. Das Vorhandensein (Rhesus positiv, RhD pos.) oder Fehlen (Rhesus negativ, RhD neg.) des Antigens auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen wird ergänzend zur Blutgruppe AB0 angegeben. Jeder dritte Österreicher besitzt die Blutgruppe A+, hat also das Antigen A und das Rhesus-Antigen auf seinen roten Blutkörperchen. Ein weiteres Drittel trägt die Blutgruppe 0+.

0 im Vorteil

Noch weitgehend unklar ist dagegen, warum bestimmte Krankheiten statistisch nachgewiesen bei manchen Blutgruppen seltener oder häufiger auftreten. "Vermutet wird, dass die unterschiedlichen Moleküle auf der Zelloberfläche bestimmte Prozesse im Körper effektiver oder weniger effektiv ablaufen lassen", sagt Körmöczi. So verläuft beispielsweise eine Malaria bei Menschen mit Blutgruppe 0 weniger dramatisch – ein evolutionärer Vorteil und mit ein Grund, weshalb diese Blutgruppe in Afrika häufiger vorkommt als in Europa.

Auch scheint es, als ob das Immunsystem bei Menschen mit Blutgruppe 0 den Magenkeim Helicobacter pylori besser bekämpfen könnte, denn diese Blutgruppe bekommt im Vergleich zu anderen weniger ernsthafte Probleme mit dem Erreger. Ähnliche Zusammenhänge werden mit Demenz, Herzerkrankungen und Krebs vermutet. Nennenswerte Auswirkungen haben diese Erkenntnisse jedoch sehr wahrscheinlich nicht: "Die Blutgruppe scheint für all diese Erkrankungen nur ein Risikofaktor zu sein, der sich wahrscheinlich nur marginal auswirkt", so Körmöczi.

Blutgruppen und Corona

Auch zum Thema Blutgruppen und Covid-19 gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Studien. "Sie belegen statistisch eindeutig, dass Menschen mit der Blutgruppe A ein höheres Risiko für die Erkrankung beziehungsweise einen schweren Verlauf haben, während die Blutgruppe 0 eher protektiv zu wirken scheint", sagt Körmöczi. Für den Mediziner ist Blutgruppe A ein unabhängiger Risikofaktor "mit einer gewissen Relevanz, die wahrscheinlich zusammen mit anderen Risikofaktoren mit vorne dabei ist". In Österreich haben laut Gesundheitsministerium 41 Prozent der Menschen Blutgruppe A, 15 Prozent Blutgruppe B, sieben Prozent Blutgruppe AB und 37 Prozent Blutgruppe 0.

Noch aber ist der Zusammenhang zwischen Blutgruppe und Covid-19-Verlauf nicht geklärt. Mehrere Theorien werden derzeit in der Forscherwelt diskutiert. So ist schon länger bekannt, dass Personen mit der Blutgruppe 0 eine langsamere Blutgerinnung haben. "Viele Covid-19-Erkrankte bekommen Thrombosen, manche versterben daran, so könnte man Patienten mit Blutgruppe A hierfür besonders engmaschig beobachten und frühzeitiger eine Therapie einleiten", sagt Körmöczi.

Für viel naheliegender für das geringere Risiko eines schweren Infektionsverlaufs hält der Mediziner aber die Theorie, dass Menschen mit Blutgruppe 0 bereits Antikörper gegen Zellen der Blutgruppen A und B besitzen. "Das Immunsystem mit Blutgruppe 0 kommt daher möglicherweise besser mit Coronaviren zurecht, die von Infizierten mit der Blutgruppe A oder B ausgehustet werden, weil die Viren dann eben auch A oder B tragen dürften."

Mythos Blutgruppendiät

Völlig unbewiesen ist der Zusammenhang von Blutgruppe und der Ernährungsweise. Dahinter steckt die vor über 20 Jahren von dem amerikanischen Naturheilkundler Peter J. D'Adamo entwickelte Blutgruppendiät. Sie baut auf der Annahme auf, dass Menschen sich so ernähren sollten wie zu der Zeit, als ihre Blutgruppe biologisch entstanden ist. So würden sie Lebensmittel besonders gut vertragen.

Danach entsprächen Menschen mit Blutgruppe 0 Höhlenbewohnern und sollten deshalb mehr Fleisch essen als andere, während die Blutgruppe AB dem modernen Menschen entspricht, der sich eher ausgeglichen und mediterran ernähren sollte. Die Zusammenfassung der unabhängigen Forschervereinigung Cochrane verweist die Blutgruppendiät aber ins Reich der Mythen: Es gibt keine Studien, die positive gesundheitliche Effekte zeigen. "Vielmehr wirkt wahrscheinlich beinahe jede Art von Diät, da man sich bewusster ernährt", sagt Gassner.

Genauso fehlt jegliche Evidenz, dass die Blutgruppe den Charakter beeinflusse. Die Idee dahinter kommt vor allem aus Asien, hier hauptsächlich aus Japan, wo 1971 der Psychologe Nomi Masahiko diese Deutung zusätzlich angestoßen und mehrere Buchbestseller dazu verfasst hat. Auch hier dürften die Annahmen, welche Charaktereigenschaften für eine Blutgruppe typisch sind, aus Beobachtungen stammen. Wissenschaftlich wurden Masahikos Thesen nie belegt. Asiaten glauben trotzdem daran, wie die Österreicher an Horoskope. (Andreas Grote, 21.2.2021)