Männern, die sie unflätig beschimpfen, droht sie, das Gemächt auszureißen: Rosamund Pike kennt in "I Care a Lot" von J Blakeson keine Zurückhaltung.

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Ein Lächeln voller milder Herzensgüte, ein eiskalter Blick, der einem den Atem abschnürt, Rosamund Pike beherrscht mühelos beides. Die Britin, die 2002 als Bond-Girl in Die Another Day erstmals international reüssierte, war zuletzt als Marie Curie, die Erfinderin der Radioaktivität, im Kino zu sehen. Eine besondere Neigung hegt sie jedoch für Figuren, die selbst ihr Umfeld verstrahlen. David Fincher war der Erste, der dies erkannt hat und sie in Gone Girl als mysteriöse Blondine in bester Hitchcock-Manier besetzt hat.

Nun darf Pike endlich wieder einmal richtig fies und durchtrieben sein. In der schwarzen Thrillerkomödie I Care a Lot, die ab heute auf Netflix läuft, ist Pike der unbestrittene Star und als Marla Grayson zugleich ein richtiges Ekel. "Playing fair", ehrlich zu sein, das sei in dieser Welt auch nur ein Job, sagt sie zu Beginn im Voiceover und nennt alle gute Menschen im selben Atemzug Heuchler. Ihr manichäisches Weltbild kennt nur Jäger und Beute, Lämmer und Löwen, oder in diesem Fall: Löwinnen.

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Marla arbeitet als legaler Vormund, der alten Leuten gerichtlich zugewiesen wird, wenn sich diese, etwa aufgrund von Demenz, nicht mehr um sich selbst kümmern können. Klingt ziemlich unverdächtig, doch gemeinsam mit ihrer Geliebten Fran (Eiza González) hat sie daraus ein Betrugsschema von kafkaesken Dimensionen erstellt. Die Betroffenen werden regelrecht entmündigt und landen im Heim, wobei Marla ruck, zuck die finanziellen Ressourcen einstreift. Ein amoralisches Geschäftsmodell, für das es tatsächlich mit einem bekannten Fall aus Nevada ein Vorbild gab.

Das Sujet von I Care a Lot, geschrieben und inszeniert von dem Briten J Blakeson, könnte mit seiner zynischen Perspektive auf menschliche Ruchlosigkeit aus der Werkstatt der Coen-Brüder sein. Doch wo sich die US-Autoren gerne so lange in den Widersprüchen ihrer Figuren verstricken, bis deren profane Seite wieder zutage tritt, ist bei Blakeson alles glänzende Oberfläche. Marla trägt ihre Coolness wie eine Lifestyle-Kriminelle zur Schau, mit ihrer Dampfzigarette hinterlässt sie kleine Ausrufezeichen. Vor Gericht spielt sie dagegen bravourös die sorgenvolle Sozialarbeiterin, der man sofort seine nächsten Verwandten anvertrauen würde.

Moralischer Zwiespalt

Wo es um die Ausbeutung der Vulnerablen geht, verwundert es nicht, dass Blakeson seinen Thriller auch als Satire auf eine Gesellschaft verstanden wissen will, der nichts heilig ist. Doch Verweise in diese Richtung, etwa ein wiederkehrender Kommentar, in dem sich Marla über ihre fehlende Moral auslässt, geraten ein wenig zu überdeutlich. Viel größeren Spaß bereitet I Care a Lot dagegen als Genreübung, die geschickt mit Erwartungshaltungen und vor allem mit Identifikationsangeboten für die Zuschauer spielt.

Denn Marla ist beileibe kein "role model", auch wenn sie sich als Kämpferin für Chancengleichheit begreift. Man wünscht sich geradezu, dass sie scheitert. Doch auch mit dem Mitgefühl für ihr jüngstes Opfer Jennifer (Dianne Wiest), eine sogenannte "cherry" – reich, alleinstehend, keine Verwandten –, ist es längst nicht so einfach.

Heimlicher Mafioso-Sohn

Jennifers Identität entpuppt sich als gefinkelte Tarnung, und ein jähzorniger, Eclair-vernarrter Gangster (Game of Thrones-Star Peter Dinklage) als ihr heimlicher Sohn im Untergrund. Und der lässt nichts unversucht, um seine Mutter aus der geschlossenen Anstalt zu befreien. "Ich bin dein größter Fehler" – so lautet der Satz, den Marla noch von keinem ihrer Schützlinge davor gehört hat.

Dianne Wiest als jüngstes Opfer von Marla (Rosamund Pike) in "I Care a Lot".
Foto: Netflix

I Care a Lot hat in diesem unvermuteten Machtspiel zwischen zwei kriminellen Daseinsweisen seine originellsten Momente. Im Grunde geht es darum, wer als Erster einknickt. Als Zuschauer steckt man durchgehend in der moralischen Zwickmühle fest. Dinklages Mafioso gehört einer machoiden Kultur der Drohungen und schlimmeren physischen Misshandlungen an, während Marlas Ausdauer, ja ihre weibliche Gerissenheit einem dann doch wieder Respekt einflößen.

Feministische Ergänzung

Blakeson hält das Katz-und-Maus-Spiel zwar nicht bis zum Schluss mit derselben skrupellosen Komik durch und rettet sich irgendwann in die vertrauten Gefilde des Caper-Movies. Doch immerhin vermag Rosamund Pikes gewissenlose Gaunerin, die sich in der Not selbst einen Backenzahn aus dem Mund reißt, von einem veränderten feministischen Bewusstsein im Genrefilm zu erzählen: Böse zu sein, das ist längst kein Privileg von Männern mehr. (Dominik Kamalzadeh, 19.2.2021)