Sechs Festplatten zu je 320 GB ließ man im Kanzleramt laut Rechnung der Firma Ricoh aus Druckern ausbauen. Kanzler-Mitarbeiter M. fotografierte die Platten vor dem Schreddern. Aber zwei haben 500 GB.

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Mit der Ibiza-Affäre hätten die geschredderten Videos sicher nichts zu tun – denn immerhin handle es sich um Druckerfestplatten, und ein Video könne man ja schwer ausdrucken. So argumentierte in den vergangenen 18 Monaten die ÖVP, wenn sie in der sogenannten Schredderaffäre in Bedrängnis geriet. Auch abseits des Inhalts der Festplatten war der Fall ja peinlich genug: ein langjähriger Mitarbeiter des Kanzlers, der unter falschem Namen Festplatten schreddern ließ und dann die Rechnung nicht bezahlte; das alles knapp vor der Abwahl der türkisen Regierung im Parlament nach Erscheinen des Ibiza-Videos.

Auch rund um die darauffolgenden Ermittlungen passierten merkwürdige Dinge: Als "politische Störfeuer" umschrieb das im U-Ausschuss Christina Jilek, die damals fallführende Staatsanwältin in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Um diese Merkwürdigkeiten ging es auch am Donnerstag. Geladen war der Polizist R., der einst in der Soko Tape ermittelt hat – auch in der Schredderaffäre. Besonders brisant ist die Frage, warum R. das Handy des Kurz-Mitarbeiters Arno M. nicht sichergestellt hat, obwohl klar war, dass M. das Schreddern gefilmt hatte.

Drei Versionen

Hier gibt es drei unterschiedliche Versionen: Ex-Staatsanwältin Jilek sagte im U-Ausschuss, sie habe erst nach einer "freiwilligen Nachschau" beim Schredderer erfahren, dass Polizist R. das Handy erhalten und dann zurückgegeben habe. Arno M. sagte: "Die Beamten haben mich abgeholt, der eine Beamte hat mein Handy gefordert, (...) wir sind zu mir nach Hause, und ich habe dann mein Handy wieder retourniert bekommen." Und Polizist R. erzählte am Donnerstag, M. habe der Einsicht in sein Handy nicht zugestimmt.

Warum die WKStA aus R.s Sicht keine Sicherstellungen angeordnet hat? Er selbst sieht "fehlendes kriminaltaktisches G’spür" bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Die plante die Anordnung zur Sicherstellung übrigens just für jenen Tag, an dem sie den Fall per Weisung abgeben musste – und zwar weil das Kanzleramt, damals unter Leitung von Brigitte Bierlein, festhielt, es gebe "keinen Bezug" zur Causa Ibiza. Dadurch wurde das Verfahren – wegen der nicht bezahlten Rechnung – zum "einfachen" Betrugsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Wien und wurde eingestellt.

Seitdem gibt es aber immer wieder Spekulationen, dass hier Vorgänge vertuscht wurden. Diese Erzählung nährte auch die Biografie von Ermittler R.: Er hatte einst für die ÖVP bei einer Gemeinderatswahl kandidiert und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach dem Erscheinen des Ibiza-Videos aufmunternde SMS geschrieben. Das würde er heute nicht mehr, sagte R. im U-Ausschuss. Seinen Eintrag auf der Webseite der ÖVP-Ortspartei habe er im Sommer 2019 löschen lassen, weil die Soko "sehr angeschossen wurde von den Medien".

Auch die WKStA war damals äußerst unglücklich über die Personalie R., es kam sogar zu einer Besprechung mit dem damaligen Justizminister Clemens Jabloner. Im Herbst 2019 schied R. dann endgültig aus der Soko aus. Die Opposition ist nach wie vor davon überzeugt, dass die Ermittlungen nicht ordnungsgemäß abliefen. Sie verweist auf die Rechnung eines externen Dienstleisters, der zufolge sechs Festplatten mit 320 Gigabyte aus Druckern ausgebaut wurden – geschreddert hat M. jedoch drei Festplatten mit 320 GB – und zwei mit 500 GB. Diese sollen angeblich aus Laptops stammen.

Die Causa Blümel

Neuen Aufwind erhalten die Vermutungen, auf den geschredderten Festplatten hätten sich belastende Inhalte gegen Finanzminister Gernot Blümel befunden – immerhin war er unter Türkis-Blau ja Kanzleramtsminister, somit Mitbenutzer der vermeintlichen Druckerfestplatten.

Die ÖVP griff am Donnerstag erneut die WKStA an: "Wie ein Kartenhaus sind die Ermittlungen zusammengebrochen", sagte Klubobmann August Wöginger; wobei Kenner des Akts dieser Aussage nicht folgen können. Wöginger bezog sich erneut darauf, dass der WKStA angeblich eine "Verwechslung" passiert sei. So schrieb diese in der Ermittlungsanordnung gegen Blümel von einem Termin im Kalender der Assistentin von Novomatic-Gründer Graf mit Betreff "Kurz". Am Donnerstag bestätigte nun Martina Kurz, Grafs Schwiegertochter, dass sie diesen Termin wahrgenommen hat – und nicht Sebastian Kurz.

Die WKStA sprach die Möglichkeit, dass es sich um Martina Kurz handeln könnte, allerdings selbst an. Ebenso spielt der Termin für die Begründung der Hausdurchsuchung keine Rolle. Novomatic will jedenfalls Beschwerde gegen die am Firmensitz durchgeführte Hausdurchsuchung einlegen. Die Grünen setzten hingegen ein starkes Zeichen für mehr Unabhängigkeit der Korruptionsermittler. Vizekanzler Werner Kogler, der derzeit Justizministerin Alma Zadić in ihrer Babypause vertritt, strich per Weisung die Vorabmeldepflicht von wichtigen Maßnahmen. Bislang hat die WKStA Ermittlungsschritte wie Hausdurchsuchungen drei Tage vor deren Durchführung bei der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien melden müssen. Das hat bei der WKStA stets für Sorgen wegen möglicher Vorwarnungen bei Betroffenen gesorgt. (Fabian Schmid, Renate Graber, 18.2.2021)