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Bis heute wird die Lyrik (hier: "Let America Be America Again") von Langston Hughes rezitiert.

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Alljährlich im Februar feiern die USA den "Black History Month". Die Idee, die Geschichte der Afroamerikaner in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken, stammt von Carter G. Woodson. Der Absolvent der Universitäten von Chicago und Harvard richtete zum ersten Mal 1926 im Februar eine "Negro History Week" aus.

Für den Februar entschied sich Woodson in Erinnerung an die Geburtstage zweier großer Amerikaner, die für die Geschichte der schwarzen Amerikanerinnen und Amerikaner eine bedeutende Rolle gespielt haben: Frederick Douglass, geboren im Februar 1818, ein ehemaliger Sklave und Schriftsteller, gilt als einflussreichster Afroamerikaner des 19. Jahrhunderts.

Und Abraham Lincoln, geboren im Februar 1809, hatte als erster Präsident aus den Reihen der Republikaner die Sklavenbefreiung verkündet. Und 1976, auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung, erkannte Präsident Gerald Ford den Black History Month offiziell an – nicht nur als zeitliche Erweiterung, sondern als Anpassung an den veränderten Sprachgebrauch.

Abwanderung in den Norden

Schulen, Universitäten, Kultureinrichtungen, aber auch Unternehmen setzen sich 2021 mit dem Thema "Die schwarze Familie: Repräsentation, Identität und Vielfalt" auseinander.

Professor Dan Hirschman von der Brown University in Rhode Island sieht in der Abwahl von Donald Trump und der landesweiten Empörung über den Sturm weißer Rassisten auf das Kapitol in Washington durchaus Positives: "Die Unterstützung der Black-Lives-Matter-Bewegung durch weiße Demokraten während der Proteste für mehr Gerechtigkeit nach George Floyds Tod ist ein erfreulicher Schritt, um Formen des strukturellen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft aufzudecken und zu bekämpfen."

In diesem Jahr gilt es aber auch, sich der "Harlem Renaissance" zu erinnern, die mit der Premiere der Broadway-Revue Shuffle Along am 23. Mai 1921 begann und bis zum Ende des Jahrzehnts dauerte. Ursprünglich hatte diese Kulturbewegung der Afroamerikaner nach einer Anthologie des Autors Alain Locke "New Negro Movement" geheißen.

New York war die unangefochtene Metropole der USA. Ausgehend vom Stadtteil Harlem artikulierten Musiker, Schriftsteller, bildende Künstler und Intellektuelle das neu erstarkte Selbstbewusstsein der Afroamerikaner. Shuffle Along war die erste Broadway-Show, die von Schwarzen verfasst war und die ein rein schwarzes Ensemble hatte.

Musik und Text stammten vom Ragtime-Pianisten und Komponisten Eubie Blake sowie vom Sänger und Textdichter Noble Sissle. Der Publikumserfolg war für damalige Verhältnisse gigantisch, man gab 484 Aufführungen.

Auslöser der "Harlem Renaissance" war die massenhafte Abwanderung der Afroamerikaner aus den rassistischen Südstaaten in den Norden. Und Harlem, der New Yorker Stadtteil nördlich des Central Park in Manhattan, übte eine Anziehungskraft aus. Während dort 1910 zehn Prozent Schwarze gelebt hatten, waren es 1930 bereits 70 Prozent.

Duke Ellington, der Mitte der 1920er-Jahre bereits eine Persönlichkeit in der Szene war, sprach von New York als einer "Stadt der Talente", allerdings vermeinte er, in dieser Stadt ein grassierendes Fieber wahrzunehmen: "New York ist die Stadt, in der die Reichen zu Fuß gehen, die Armen sich ein Taxi nehmen und an Unterernährung sterbende Bettler ein Vermögen unter ihrer Matratze hinterlassen."

Und so beschrieb Ellington die Atmosphäre dieser Zeit: "In diese Stadt kommen die Schönsten und Größten der Welt, Vertreter aller Kulturen, Künstler, Erneuerer, bedeutende Männer, extravagante Frauen und Damen jeden Alters, deren Schönheit in ihrer Originalität liegt. Sie alle tragen bei zu der Melodie dieses Traums von einem Lied, das sich New York nennt."

Von Chaplin bis zu den Royals

Die Boheme von New York wurde zum Zentrum der Avantgarde. Man pflegte einen freien Lebensstil; Selbstverwirklichung, moderne Kunst und progressive Politik waren angesagt. Freie Liebe, Geburtenkontrolle und die Enttabuisierung der Homosexualität waren Themen der Zeit in diesen Kreisen. Die viktorianische Moral empfand man als Unterdrückung. Die weiße Boheme gab sich all dem begeistert hin, während sie in anderen Teilen des Landes die Augen vor der rassistisch strukurierten Gesellschaft verschloss.

Sie erfreute sich in den Nightclubs von Harlem an Jazz und Blues, vorwiegend dargeboten von Afroamerikanern. In der Herald Tribune konnte man lesen: "Für alle, die gern noch spät abends unterwegs waren, ließ sich Harlem mit keinem anderen Ort in Amerika vergleichen. Harlems schillernde Nightclubs zogen alle an: von Charlie Chaplin bis zu den Rothschilds, von Gangstern bis zu den Betuchten aus der Park Avenue, von den Village-Bohemiens bis zu den Angehörigen europäischer Königshäuser."

In Harlem, wo der Immobilienmarkt unter dem Einfluss des Afroamerikaners Philip Payton stand, ließ sich die schwarze Mittelklasse auch wegen des pulsierenden gesellschaftlichen Lebens gern nieder – und weil sie anderswo noch mehr Diskriminierung fürchten musste.

Prominente Förderer

Prominente wie der Journalist und Fotograf Carl Van Vechten förderten schwarze Künstler nicht nur publizistisch, sondern auch finanziell. Viele Protagonisten dieser Zeit wie Schriftsteller Langston Hughes und Claude McKay, Maler Palmer Hayden und William H. Johnson, und viele mehr gelten heute als afroamerikanische Ikonen.

Zu dem Künstlerkreis der "Harlem Renaissance" gehörte auch der afroamerikanische Fotograf James Van Der Zee, der quasi der Dokumentarist dieser Szene war und der Nachwelt eindrucksvolle Bilder hinterlassen hat. Ausgebildet wurden die schwarzen Bildungsbürger wie Langston Hughes zumeist an der Columbia University oder wie sein Dichterkollege Jean Toomer am New York City College.

Musik, bildende Kunst und Literatur der Afroamerikaner wurden für Weiße immer attraktiver. Weiße Schriftsteller übernahmen Themen der Afroamerikaner, und weiße Komponisten wie George Gershwin verwendeten Rhythmen und Harmonien aus Jazz, Blues und Spirituals. Auch der Franzose Maurice Ravel holte sich Anregungen für sein kompositorisches Werk aus dem Jazz. Sie ließen sich inspirieren, ohne dieselbe Unterdrückung zu durchleiden.

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Langston Hughes, einer der größten Harlem Künstler.
Foto: picturedesk.com / dpa Picture Alliance / Fred Stein

Neue Identität

Abseits der kulturpolitischen Bedeutung der "Harlem Renaissance" gab es auch wichtige gesellschaftspolitische Aspekte. So gewann die Emanzipation der Frau an Bedeutung. Die Mode befreite sich von Tabus, und viele Afroamerikanerinnen wie etwa A’Lelia Walker spielten eine progressive Rolle.

Diese damals reichste schwarze Frau Amerikas hatte ihr Vermögen durch eine Geheimformel zu Glättung krausen Haares gemacht. Ein Schönheitsideal, das einer weißen Gesellschaft entstammt – und für schwarze Frauen mit Schmerzen verbunden ist. In ihrem Salon trat die Blues-Sängerin Alberta Hunter auf.

Das Ringen um die kulturelle Geschichte und ihren Platz in der Gesellschaft schien nun nach jahrhundertelanger der Versklavung und systematischer Unterdrückung Früchte zu tragen. Es entwickelte sich eine neue Identität der schwarzen Bevölkerung, was nicht nur die schöpferischen Kräfte afroamerikanischer Künstler beflügelte, sondern auch politische Prozesse bis hin zur Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King in den 1960er-Jahren oder Barack Obama als ersten schwarzen Präsidenten 2008 auslöste.

Work in Progress

Dass dieser neue Stolz selbstbewusster und gebildeter Afroamerikaner bis heute nicht vor der Diskriminierung durch weiße Rassisten gefeit ist, zeigen die Ereignisse der letzten Jahre unter der Trump-Präsidentschaft. Das Ringen um gleiche Rechte ist noch immer ein "work in progress", aber die Harlem Renaissance vor einem Jahrhundert war ein Meilenstein auf diesem Weg.

Der schwarze Philosoph William Edward Burghardt Du Bois ließ als Herausgeber der Zeitschrift The Crisis die wichtigsten Vertreter der Harlem Renaissance zu Wort kommen. Du Bois gilt als ein Begründer der Bürgerrechtsbewegung, kämpfte gegen die Rassentrennung, forderte das Wahlrecht für Afroamerikaner, ökonomische Gerechtigkeit und Menschenrechte.

Die aktuellen Entwicklungen haben daher die Frage aufgeworfen, ob der Black History Month überhaupt noch zeitgemäß ist. Die Berliner Kolumnistin Michaela Dudley beantwortet sie im Tagesspiegel mit:"Jein. Wir in der Black Community wandern eigentlich ständig auf dem schmalen, scharfkantigen Grat zwischen Selbstbemitleidung und Selbstermächtigung, Larmoyanz und Leidenschaft. Egal, was wir tun, gefällt es den anderen und sogar uns selbst nie so ganz."

Das Gedicht I, too von Langston Hughes, das 1926 in dessen erstem Gedichtband The Weary Blues abgedruckt worden ist, bringt das neue Selbstbewusstsein der Afroamerikaner in wenigen Worten eindringlich auf den Punkt. Hughes beschreibt aus der Perspektive eines schwarzen Dieners den Alltagsrassismus einer wohlhabenden weißen Familie, die ihn stets beim Eintreffen ihrer abendlichen Gäste in die Küche schickte. Ein Gedicht, das trotzdem viele unerfüllte Hoffnung beinhaltet:

Ich singe auch Amerika.

Ich bin der dunklere Bruder.
Sie schicken mich zum Essen
In die Küche.
Wenn Gesellschaft kommt.
Aber ich lache
Und esse gut
Und werde stark.

Morgen
Bin ich am Tisch
Wenn Gesellschaft kommt.
Niemand wird es wagen,
Zu mir zu sagen:
"Iss in der Küche."
Dann.

Außerdem werden
Sie sehen, wie schön ich bin
Und sich schämen.

Ich bin auch Amerika.

(Johannes Kunz, 21.2.2021)