Es war ein besonderer Moment in der Vorwoche. Da stand die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag, um eine Regierungserklärung abzugeben, natürlich zur Pandemiebekämpfung.

"Es bricht mir das Herz", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel über die vielen Menschen, die einsam an Corona gestorben sind. So emotional wie in dieser Krise haben die Deutschen ihre Regierungschefin noch nie erlebt.
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Und bei dieser räumte sie Fehler ein: "Wir waren nicht vorsichtig genug und schnell genug. Wir haben auf die Anzeichen der zweiten Welle und die Warnungen verschiedener Wissenschafterinnen und Wissenschafter nicht früh und nicht konsequent genug das öffentliche Leben heruntergefahren." Es war ein Eingeständnis, das großen Nachhall hatte.

Ein anderes Bild zeigt sich in Österreich. Dort kam Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Jahreswechsel weniger emotional über die Lippen: "Wer so viele Entscheidungen trifft, der macht jeden Tag Fehler."

Kreative Zahleninterpretation

Anfang Dezember stemmte sich Kurz gar gegen die Realität. Das Land befand sich längst wieder im Lockdown. Die Entwicklung der Mortalität in Österreich war in Relation zu den Einwohnerzahlen schlimmer als in den Krisenherden USA und Großbritannien.

Der türkise Parteichef wurde in einem ZiB2-Interview bei der Zahleninterpretation kreativ. Er führte im Vergleich mit Deutschland nur die blanken Zahlen an, damit Österreich besser dasteht. Und Kurz reagierte ich-bezogen: "Ich habe im Frühling den Satz gesagt ‚Es wird bald jeder jemanden kennen, der an Corona verstorben ist‘", sagte er. "Ich bin damals scharf dafür kritisiert worden."

Der Umgang mit den tragischsten Werten dieser Pandemie, den Todeszahlen, steht vielleicht als treffendstes Beispiel dafür, was die kommunikative Herangehensweise der beiden Regierungschefs voneinander unterscheidet.

"Ich habe im Frühling den Satz gesagt ‚Es wird bald jeder jemanden kennen, der an Corona verstorben ist‘. Ich bin damals scharf dafür kritisiert worden", sagte Kanzler Sebastian Kurz zu den hohen Todeszahlen im Dezember.
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Kurz will den Ton angeben

Merkel verweist immer wieder darauf, dass es sich bei den Todeszahlen nicht bloß um Statistiken handle: "Das ist furchtbar, das sind nicht einfach Zahlen, das sind Menschen, die in Einsamkeit gestorben sind." Zwar brachte auch Kurz persönliche Schicksale vor, der Zugang wirkt jedoch anders.

Die Einordnung Deutschlands auf einer Rangliste oder die Bemerkung, dass ihr Land quasi Musterschüler sei, hört man von Merkel nicht. Sie betont nur, dass man froh sein könne, dass Deutschland besser durch die erste Welle gekommen sei als andere Staaten.

Kurz hingegen setzt seit Pandemiebeginn in Österreich stärker auf Wettbewerb. Er sucht nicht nur den direkten Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Kurz inszenierte sich mit neun Staaten sogleich zu "First Movers". Gut zu sein, das scheint Kurz nicht zu reichen, er will den Ton angeben.

Superlative als Bumerang

Nur nimmt eine Pandemie darauf keine Rücksicht, dass man im Frühjahr die erste Hürde vielleicht besser nahm als andere. Manche jener Länder, mit denen sich der Kanzler abstimmte, traf die zweite Welle im Herbst besonders hart, etwa Israel oder Tschechien. Nicht zuletzt mutierte Österreich dann zwischenzeitlich selbst zum Sorgenkind.

Der Hang zu Superlativen wurde für Kurz wiederholt zum Bumerang. Der Politikwissenschafter Peter Filzmaier beobachtete, dass Kurz seine Frühjahrsrolle als "Chefvirologe" quasi mit der Aussage "Licht am Ende des Tunnels" Ende August zurückgeschraubt habe, als die Situation kritischer wurde. Sonst hätte er Schaden genommen.

Fortan traf die zweite Welle aus Kanzlersicht die "Masse" der Nachbarländer genauso hart wie den einstigen "Mover". Wann immer Österreich in der Corona-Rangliste Meter macht, weist Kurz darauf hin.

In der Nacht schlaflos

Merkels Kommunikation ist ambivalent. Zuallererst fordert sie die Deutschen zum Durchhalten auf. Einerseits lässt sie dabei so viel Emotion durchblicken wie noch nie in ihrer 15-jährigen Kanzlerschaft.

"Es tut mir leid, es tut mir wirklich im Herzen leid", sagte sie, als sie vor Weihnachten schärfere Maßnahmen ankündigte. Auch dass so viele alte Menschen alleine starben, ging ihr an die Nieren: "Es bricht mir das Herz." Unlängst bekannte sie, dass sie nachts oft nicht schlafen könne.

Andererseits schlägt oft die Stunde der Wissenschafterin, der Physikerin. Merkel vermag R-Wert, Inzidenzen und exponentielles Wachstum zu erklären wie kaum ein anderer Politiker oder eine andere Politikerin in Deutschland. Sie ist glaubwürdig, weil ihr naturwissenschaftlicher Hintergrund bekannt ist.

Man weiß auch, dass Merkel bei der Bekämpfung der Pandemie nicht durchgreifen kann. Seuchenschutz ist Ländersache, 16 Länder können eigene Wege gehen.

Imageschaden verteilen

Bei Kurz ist das anders. Nicht zuletzt schossen sich er und sein Team in der Krise immer wieder auf das rote Wien ein. Erst seit die Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen abnimmt, bindet er den Bürgermeister der Hauptstadt, Michael Ludwig, ein. Wohl, um möglichen Imageschaden zu verteilen. Die SPÖ-geführten Bundesländer bleiben vom Gesetzwerdungsprozess aber weiterhin ausgeschlossen. Ein Verordnungsentwurf bleibt zur Abstimmung eher in türkisen Reihen.

Merkel selbst macht kein Geheimnis daraus, dass sie nicht immer den harten Kurs durchsetzen konnte, den sie wollte. Auf die Frage, ob Deutschland besser dastehen würde, wenn alle Ministerpräsidenten ihrer harten Linie gefolgt wären, sagte sie: "Wir haben vieles abzuwägen, ich schätze die Zusammenarbeit, auch wenn sie manchmal mühselig ist."

In internen Gesprächen wird sie deutlicher, da fand so mancher Zornausbruch den Weg in die Medien. Während der ersten Welle warnte sie vor "Öffnungsdiskussionsorgien", Ende Jänner zürnte sie: "Uns ist das Ding entglitten." Überliefert ist auch, dass sie sich wegen der geschlossenen Schulen nicht vorwerfen lasse, "Kinder zu quälen". Die Beschaffung des Impfstoffes hat sie enger an sich gezogen und eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Zunächst war dafür Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuständig.

Wird es eng, greift Kurz durchaus zu Manövern, die seinen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) vor den Kopf stoßen. Als die Corona-Todeszahlen im Herbst immer steiler anstiegen, forderte Kurz am 15. November in der Pressestunde plötzlich Massentests. Anschober wusste davon nichts.

Fehlersuche

Bei der medial inszenierten ersten Impfung wiederum trat Kurz gemeinsam mit seinem grünen Umfragekontrahenten auf. Als aber der Druck auf ihn wegen des langsamen Impfstarts zu groß wurde, mahnte der Kanzler via Boulevardmedien mehr Tempo ein. Seine Mitarbeiter riefen die Bundesländer durch und versprachen zeitnah Impfstoff.

Anschober und sein Ressort wirkten in dieser Krise einmal mehr düpiert. Weniger mächtig stellte sich Kurz dar, als die Frage aufkam, ob der zweite Lockdown im Herbst nicht zu spät erfolgt sei. Kurz, so lautet die Erzählung seines Umfelds, wollte natürlich früher eingreifen, die anderen waren dagegen.

Doch auch Merkel ist nicht immer voll der Reue über Fehler und Pannen. Zum schleppenden Impfstart meinte sie, "im Großen und Ganzen" sei nichts schiefgelaufen. Kritiker meinen, Merkel solle ihre Politik öfter erklären, so wie sie es in der ersten Welle getan habe. Doch in ihrer Umgebung warnt man vor Abnutzung durch tägliche Kanzlerinnen-Auftritte.

So unterschiedlich die Kommunikation ist, die beiden geraten mit Fortdauer der Corona-Krise unter Druck. Merkel hat es dennoch bedeutend leichter: Sie muss sich keiner Wiederwahl mehr stellen. (Birgit Baumann, Jan Michael Marchart, 20.2.2021)