Folgendes Szenario hätte der FPÖ-Führung, vor allem Klubchef Herbert Kickl, gut gefallen: Sie bringen einen Misstrauensantrag gegen ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel ein. Da der wegen einer Hausdurchsuchung im Zuge der Novomatic-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Schieflage geriet, ziehen im Nationalrat nicht nur SPÖ und Neos willig mit, sondern auch viele Grüne.

Die Konsequenz: der Kanzler-Intimus Blümel von einer Mehrheit im Parlament aus dem Amt gejagt, die Grünen gespalten, Koalitionsbruch.

Sebastian Kurz würde das nicht akzeptieren, beim Bundespräsidenten um Demission bitten. Die türkis-grüne Regierung und der ÖVP-Chef wären brüskiert. Es käme zu Neuwahlen. Alles fast so wie 2019 nach dem Ibiza-Skandal, nach dem Ende von Türkis-Blau. Eine Retourkutsche Kickls. Aber 2021 ist nicht 2019, und die Grünen sind in einer Regierung das Gegenteil dessen, was die FPÖ war. Statt blauer Daueremotion regieren grüne Vernunft und Pragmatismus.

Die Klubobfrau der Grünen Sigrid Maurer.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Deshalb lässt sich nach einer turbulenten Woche resümieren: Österreich ist das Kippen in eine neuerliche politische Instabilität erspart geblieben. Ein Sturz der ganzen Regierung, nur weil ein Minister möglicherweise strauchelt (wie einst Kickl als Innenminister), wäre auch riskant. Vieles spricht dafür, dass die Corona- und Wirtschaftskrise demnächst auf neue Höhepunkte zusteuert. Das erfordert Handlungsfähigkeit.

Sollte sich herausstellen, dass der als Beschuldigter geführte Finanzminister nicht so ohne weiteres aus dem Verfahren herauskommt, dann wird er früher oder später wohl selber gehen müssen. Oder der Kanzler wird ihn, Freundschaft hin oder her, zum Rücktritt drängen. Ein Blümel-Abgang wäre kein Beinbruch für Türkis-Grün. Dann käme eben ein neuer Finanzminister.

Green Deal

So ist das in demokratisch geführten, rechtsstaatlich orientierten Regierungen in den 27 EU-Staaten. Blümel ist und bleibt das Problem der ÖVP, und nicht der Grünen, die die Justizministerin stellen. Sie haben allen Grund, die Mühlen der Justiz in Ruhe mahlen zu lassen.

Es ist der Führung rund um Parteichef Werner Kogler und Sigrid Maurer daher hoch anzurechnen, dass sie der Versuchung zum Koalitionsbruch nicht nachgegeben haben, auch nicht dem Wunsch aus dem Inneren der Partei wie von Aktivisten und NGOs nach strikt "moralischer Politik". Will man Türkis-Blau 2.0?

Es wäre sogar unverantwortlich gewesen, ihr großes Projekt des ökologischen Umbaus von Staat und Gesellschaft den (mutmaßlichen) Verfehlungen eines türkisen Politikers zu opfern. Auf EU-Ebene: den Green Deal.

Durch Blümel geschwächt ist die ÖVP als größerer Regierungspartner. Das ermöglicht den Grünen, stärker aufzutreten als bisher. Die Wähler werden es honorieren. Kanzler Kurz ist vom Wohlwollen des Koalitionspartners abhängiger als dieser von ihm. Der ÖVP-Chef wird sich hüten, von sich aus seine konservativ-grüne Regierung zu gefährden. Mit wem sonst will Kurz glaubhaft regieren?

Die Ökopartei hat Grund, gelassen zu sein. Sie wird als seriöser Partner mangels attraktiver Alternativen noch länger gebraucht werden. So wie die Dinge liegen, könnte sie im Herbst zudem noch Rückenwind aus Deutschland bekommen. Die Grünen dort haben gute Chancen, ans Mitregieren zu kommen, entweder mit CDU/CSU oder über ein Linksbündnis, sollte die SPD sich erholen. Werner Kogler kann ruhig schlafen. (Thomas Mayer, 20.2.2021)