Das Urteil sieht viereinhalb Jahre Haft für R. vor.

Foto: AFP / THOMAS LOHNES

Syrische Flüchtlinge und die arabischsprachige Welt haben am Mittwoch auf die deutsche Stadt Koblenz geschaut: Im weltweit ersten Strafprozess wegen Staatsfolter in Syrien hat das Oberlandesgericht am Mittwoch einen der beiden Angeklagten zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Syrer Eyad A. hatte sich nach Überzeugung der Richter der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Der nach Deutschland geflohene und dort festgenommene 44-Jährige war Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes von Machthaber Bashar al-Assad in Syrien.

Gegen den Hauptangeklagten Anwar R. wird voraussichtlich bis zum Herbst weiterverhandelt. Das Verfahren gegen beide Angeklagte wurde in der vergangenen Woche aufgespalten.

A. wusste laut Urteil von systematischer Folter

A. soll Mitarbeiter einer Unterabteilung gewesen sein und den Transport von 30 festgenommenen Demonstranten begleitet haben, die bereits auf der Fahrt zum Al-Kathib-Gefängnis geschlagen worden sein sollen. Nach Überzeugung der Anklage wusste A. bei der Festnahme der Menschen von der systematischen Folter in dem Gefängnis.

Die Vorsitzende Richterin Anne Kerber verwies in der Urteilsbegründung auf die bereits 1996 begonnene langjährige Tätigkeit von A. für den syrischen Geheimdienst, wo er als Ausbildner die körperliche Ertüchtigung überwacht habe. Seine Selbstbeschreibung sei gewesen: "Man muss die Leute zwingen, dass sie mehr ertragen."

Ab 2004 habe er eine Fortbildung in Terrorismusbekämpfung gemacht, habe gelernt, Hinterhalte zu bekämpfen oder sie selbst zu errichten oder Festnahmen vorzunehmen. In Damaskus war A. laut dem Urteil für vier Stadtviertel verantwortlich. Seine Aufgabe sei dabei gewesen, Moscheen zu überwachen und Imame zu bespitzeln. Die Informationen habe er an Vorgesetzte weitergegeben.

Fünfeinhalb Jahre Haft gefordert

Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer fünfeinhalb Jahre Haft, seine Verteidigung einen Freispruch. Die Anwälte von A. argumentierten laut einer Gerichtssprecherin mit einem "entschuldigenden Notstand". Die Vorbereitung seiner Ausreise aus Syrien habe Zeit in Anspruch genommen. Bei einer Desertion hätte ihm nach Ansicht seiner Anwälte eine Hinrichtung gedroht.

R. steht wegen 58-fachen Mordes sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Nach Überzeugung der Anklage war er der militärische Vorgesetzte des berüchtigten Al-Khatib-Gefängnisses in Damaskus. Unter seiner Befehlsgewalt sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge während ihrer Inhaftierung mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. Gegen ihn sind noch Verhandlungstermine bis Ende Oktober angesetzt.

Große Bedeutung für syrische Flüchtlinge

Menschenrechtsaktivisten sahen den Prozess als ersten Schritt in die richtige Richtung, auch wenn eine vollständige Gerechtigkeit für die erlittene Folter durch die Assad-Regierung nicht erreicht werden könne. "Deutschland hat den Weg zur Gerechtigkeit geöffnet", sagte die syrische Anwältin Joumana Seif. Vor allem für syrische Flüchtlinge in Deutschland sei der Prozess von großer Bedeutung. "Zum ersten Mal werden die Opfer gehört."

Anwalt Patrick Kroker, der in dem Prozess sieben Nebenkläger vertritt, sprach von einer "überwältigenden Anzahl an Beweisen" gegen beide Angeklagte. Es sei großes Glück, dass es Überlebende gebe, die in den Zeugenstand treten. Jeder dieser Zeugen sei "extrem glaubwürdig".

Die Menschenrechtsorganisation European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) warf dem OLG indes Ignoranz gegenüber der arabischsprachigen Welt vor. "Es scheint, als wären die Zuschauer störend für das Gericht", sagte Kroker dazu. Erst rund vier Monate nach Verhandlungsbeginn war arabischsprachigen Prozessbeobachtern eine Simultanübersetzung über Kopfhörer angeboten worden – nach einer einstweiligen Anordnung durch das deutsche Bundesverfassungsgericht. Das Verfahren zeige auch eine Ambivalenz, sagte ECCHR-Gründer Wolfgang Kaleck. Irgendwo müsse damit angefangen werden, die Verbrechen aufzuklären. Auf der anderen Seite trete jedoch die hinter den Angeklagten stehende Struktur zurück. Der Fall sei nur ein Teil einer viel größeren Maschinerie. (APA, 24.2.2021)