Israel schreitet mit den Immunisierungen voran. Geimpft wird auch vor dieser Bar in Tel Aviv.

Foto: AFP / Gil Cohen-Magen

Wie wenn ein riesiges Tor langsam aufginge. Genau so fühle es sich derzeit an, erzählt die 59-jährige Shoshana. "Plötzlich tun wir Dinge, die lange nicht möglich waren." Gestern zum Beispiel. "Da hatte ich eine berufliche Sitzung mit Leuten, die ich ein Jahr lang nur auf Zoom gesehen habe", sagt die Anwältin aus Netanja, einer Küstenstadt nördlich von Tel Aviv. "Es war ein wunderbares Gefühl." Mit ihrem Mann spreche sie auf einmal wieder über gemeinsame Flugreisen. "Nicht, dass wir schon Tickets gebucht hätten" – der Flugverkehr ins Ausland liege noch lahm. "Es ist die Freiheit zu planen, die zählt."

Shoshana ist seit mehreren Wochen geimpft, so wie 80 Prozent der Israelis über 50 Jahre. Kein Land impft so schnell wie Israel. Dabei wurde auch hier eine strenge Reihung eingehalten: Zuerst kamen die über 60-Jährigen, die Hochrisikopatienten und das Gesundheitspersonal dran. Dann wurden stufenweise die Nächstjüngeren zugelassen, seit mehreren Wochen können alle Altersgruppen über 16 den Impfstoff von Pfizer/Biontech bekommen.

Die Impfung wirkt, das zeigt sich nun auch deutlich in der Infektionsstatistik. Die Rate der Tests, die ein positives Ergebnis bringen, ist auf sechs Prozent gesunken. Auch die Spitäler spüren den Rückgang der schweren Fälle. Jene, die mit einer Corona-Infektion ins Spital eingeliefert werden, sind großteils ungeimpft. Oft sind es Schwangere. Eine 32-Jährige in der 30. Schwangerschaftswoche verstarb am Samstag an den Folgen einer Covid-Erkrankung. Die vierfache Mutter hatte laut Medienberichten keine Vorerkrankungen. Versuche, den Fötus am Leben zu erhalten, scheiterten.

Langsames Auftauchen

Jene 2,8 Millionen Israelis, die bereits beide Teilimpfungen erhalten haben, sind vor einer Erkrankung hingegen gut geschützt. Das zeigen mehrere aktuelle Studien, die der Pfizer-Impfung eine Effektivität von weit über 90 Prozent bescheinigen. Bereits zwei Wochen nach der ersten Dosis haben Geimpfte einen Erkrankungsschutz von rund 85 Prozent, wie eine Studie des Sheba-Spitals zeigt. Wie lange der Schutz anhält, ist unklar. Die Autoren geben keine Empfehlung ab, auf die zweite Dosis zu verzichten.

Beim langsamen Auftauchen aus dem Lockdown fährt Israel nun eine zweigleisige Strategie: Für doppelt Geimpfte und bereits Erkrankte gibt es seit Sonntag Zugang zu einer Reihe von Einrichtungen, die den Ungeimpften verschlossen bleiben. Voraussetzung dafür ist der sogenannte Grüne Pass, den man sich herunterladen oder via App besorgen kann – sofern diese nicht wieder crasht, wie es zum Ärger vieler User rund um den Starttermin des Öfteren vorkam.

Der Grüne Pass gewährt Zutritt in Fitnessstudios, Schwimmbäder und zu Kultur- und Sportveranstaltungen. Auch Hotels dürfen geimpfte Gäste empfangen. Die israelische Fluglinie Israir bietet ab Dienstag täglich einen Flug in die Rotmeer-Badedestination Eilat an – exklusiv für Grünpass-Inhaber. Den Pass erhalten alle, die vollständig immunisiert sind. Das ist ab dem siebten Tag nach der zweiten Impfung oder nach einer überstandenen Erkrankung der Fall.

Anreize für Impfmuffel

Der Pass soll auch Anreiz für Impfmuffel sein, sich das Vakzin doch noch verabreichen zu lassen. Manche scheinen es eher als Anreiz zum schnellen Reichtum zu nehmen: Über den Messengerdienst Telegram bieten anonyme Anbieter gegen Bezahlung gefälschte Impfpässe an. Wobei der Gesundheitsminister warnt: Wer mit einer Fälschung erwischt wird, dem drohen hohe Strafen – bis hin zu Gefängnis.

Auch für die Ungeimpften gibt es einige Lockerungen. So dürfen seit Sonntag Geschäfte, Einkaufszentren, Museen und Büchereien wieder aufsperren, auch Schüler bestimmter Schulstufen dürfen wieder zurück in die Klassen – mit Sicherheitsauflagen und auf Widerruf. Sobald ein Bezirk auf der Inzidenz-Ampelskala auf Rot umschaltet, müssen die Läden und Schulen wieder zusperren.

Impfungen spielen auch in einer außenpolitisch brisanten Angelegenheit eine Rolle, die in den vergangenen Tagen für wilde Spekulationen gesorgt hat. In einer streng geheimen Sitzung des Sicherheitsapparats am vergangenen Dienstag in Jerusalem wurde laut offiziellen Angaben ein "sensibler humanitärer Einsatz in Syrien" debattiert – genauere Infos wurden zwar ausgegeben, unterlagen aber einer strengen Militärzensur. Es gehe um die Auslieferung einer Israelin, die sich "versehentlich" über die Grenze nach Syrien begeben habe und seither dort festgehalten werde, hieß es später. Syrien erhalte im Gegenzug zwei in Israel festgesetzte syrische Staatsbürger.

Impfstoff für Freilassung?

So weit, so simpel. Erst später wurde durch Leaks aus gut informierten Kreisen bekannt, dass der Preis, den Israel für die erfolgreiche Rückkehr der jungen Frau aus ultraorthodoxen Kreisen bezahlt hat, in einer Währung bezahlt wurde, die derzeit besonders hoch im Kurs steht: in Impfungen. In dem von Moskau vermittelten Deal soll Israel die Lieferung einer unbestimmten Zahl an Impfdosen des russischen Vakzins Sputnik V an das Assad-Regime finanzieren. Offiziell kommentiert wird der Deal nicht, dementiert allerdings auch nicht. Auf Nachfragen meinte Premierminister Benjamin Netanjahu am Sonntag nur lapidar: Man werde gewiss keine für Israel bestimmte Impfdosis an Syrien verschenken. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 22.2.2021)