Das Thema Migration spaltet Europa mehr als jedes andere. Eine Grenzschutzagentur aufzubauen, die Grundrechte ein- und die Unabhängigkeit hochhält, ist zweifelsfrei eine Herausforderung. Die EU scheint dieser nicht gewachsen zu sein. Wie die jüngsten Enthüllungen eines Recherchekollektivs aufzeigen, liegt bei ihrer Behörde Frontex vieles im Argen.

Ihre Vertreter treffen sich geheim mit Lobbyisten der Waffen- und Sicherheitsindustrie, die auf Großaufträge für Drohnen, Überwachungstechnologie und Handfeuerwaffen hoffen. Bis 2027 stehen 2,2 Milliarden Euro für Ankäufe der am schnellsten wachsenden EU-Behörde bereit. Gleichzeitig sollen Beamte an illegalen Zurückweisungen von Geflüchteten beteiligt sein.

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Wer glaubt, dass Grenzschutztruppen oder schreckliche Bilder aus Lagern Menschen davon abhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen, gibt sich einer Illusion hin.
Foto: Reuters/Antonio Bronic

Keine Illusionen

Es besteht die Gefahr, dass wir gerade ein bürokratisches Monster mit eigener Machtlogik heranziehen. Die Militarisierung der Grenzen wird uns sehr viel Geld kosten – und unsere letzte Glaubwürdigkeit als Kontinent, der für die Menschenwürde eintritt. Sie wird zuerst eine neue Kaste an Grenzwächtern und am Ende uns als Gesellschaft brutalisieren.

Das eigentliche Ziel wird nicht erreicht werden, denn wer – bei dem bestehenden Wohlstandsgefälle – glaubt, dass Grenzschutztruppen oder schreckliche Bilder aus Lagern in Griechenland und Bosnien Menschen davon abhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen, gibt sich einer Illusion hin. Nur der Preis, den Flüchtlinge und Migranten bezahlen müssen, wird steigen. Organisiertes Verbrechen und Korruption werden weiter zunehmen. Die Geschichte lehrt, dass sich Systeme nicht auf Dauer durch Mauern schützen lassen.

Wir sehen aktuelle Migrationsbewegungen immer noch im Lichte der Erfahrungen des Jahres 2015. Auf Basis dieser Zäsur, die europäische Staaten mitzuverantworten hatten, weil sie nicht willens waren, zur adäquaten Versorgung von Kriegsflüchtlingen im Nahen Osten beizutragen, treffen wir jetzt falsche Entscheidungen. 2015 hat tiefe Ängste hervorgebracht, und wir leben durch sie im Irrglauben, Millionen Menschen würden auch heute vor den Toren Europas darauf warten, den Kontinent zu stürmen.

Klare Verpflichtungen

Mit dieser Paranoia lässt sich genauso wenig sinnvolle Politik machen wie mit naivem Gerede von "Open Borders". Es braucht legale und kontrollierbare Wege der Einreise ebenso wie die Möglichkeit, kriminelle Migranten schnell auszuweisen. Die Zukunftstechnologie, die Europa jetzt einsetzen sollte, sind nicht Drohnen, Flugzeuge und Zeppeline (sic!), sondern intelligentes und strategisches Handeln. Nordafrika kommt hier eine besondere Bedeutung zu.

Warum bietet man diesen Ländern nicht Visafreiheit an im Gegenzug für klare Verpflichtungen, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, Abgeschobene zurückzunehmen und vielleicht sogar ein eigenes Asylwesen aufzubauen? Mit der Ukraine hat das funktioniert. War um schaffen wir nicht Möglichkeiten für temporäre Arbeitsmigration nach Europa und wirtschaftliche Kooperation mit Ländern wie Tunesien, Marokko und Algerien? Genauso braucht es für Westafrika und den Nahen Osten zielgerichtete Vereinbarungen.

Die Außengrenzen Europas sind auch die Grenzen Österreichs. Was dort und in der unmittelbaren Nachbarschaft ist, liegt in unserer Verantwortung. Strategisches Denken, nicht Paranoia sollte unser Handeln leiten. (Philippe Narval, 22.2.2021)