Andere Bildungsreisen führen nach Venedig oder auf die Galapagosinseln. Daniel Hooper reiste vergangenen Sommer mit seinem 16-jährigen Sohn Rory in die Buchenwälder der Chilterns, 60 Kilometer nordwestlich von London, wo Ökoaktivisten ein gewaltiges Bauprojekt verhindern wollen. Der Anschauungsunterricht erzielte das gewünschte Ergebnis: Gemeinsam setzten sich Vater und Sohn Ende Jänner mitten in London in selbstgebaute Tunnel, um gegen die Naturzerstörung zu protestieren. Und weil Hooper Senior, 47, viel besser unter seinem Alias Swampy ("sumpfig") bekannt ist, hat nun die britische Ökoszene einen dynastischen Helden: Swampy den Zweiten.

Swampy I erlangte in den 1990er-Jahren Berühmtheit mit seinen gewitzten und geschickt an die Medien lancierten Aktionen. Zur Verhinderung des Baus einer Schnellstraße in der westlichen Grafschaft Devon verbrachte Hooper 1996 mehr als eine Woche in einem Tunnelsystem. Damals waren Planer und Behörden auf der Insel erstmals mit dieser Art von Protest konfrontiert. Hooper und seine Mitstreiter wiederholten das ebenso bemerkenswerte wie gefährliche Tiefbauprojekt ein zweites Mal, um den Bau einer zweiten Startbahn am Flughafen von Manchester zu unterbinden.

Mitten in London gruben Umweltaktivisten Tunnel, um sich darin zu verschanzen.
Foto: AFP/Boardman

Exzentriker

Wenig später verschwand Swampy aus der Öffentlichkeit – der Ruhm des liebenswerten, letztlich aber erfolglosen Exzentrikers war ihm unangenehm geworden, Gespräche mit den Medien verweigerte er gewöhnlich. Seit mittlerweile zwei Jahrzehnten lebt der Engländer mit seiner Frau und den drei Kindern in der westwalisischen Ökokommune Tipi Valley, baut eigenes Gemüse an und erzeugt umweltverträglichen Strom mit Solarpaneelen.

Ironischerweise wird für das Projekt, gegen das die Hoopers nun protestieren, ebenfalls mit umweltpolitischen Argumenten geworben. 2009 brachte die damalige Labour-Regierung eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von London über Birmingham nach Manchester und Leeds auf den Weg. Sie soll die total überlasteten Bahnstrecken aus dem 19. Jahrhundert entlasten und dadurch viel mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern.

Kostenexplosion

Erst vor Jahresfrist bekannte sich die frisch wiedergewählte Regierung des konservativen Premierministers Boris Johnson ausdrücklich zu dem Vorhaben, obwohl es wie so viele öffentliche Bauprojekte schwere Rückschläge erlitten hat. Die Baukosten haben sich annähernd verdoppelt auf sagenhafte 106 Milliarden Pfund (122 Milliarden Euro), statt der ursprünglich geplanten, ohnehin späten Aufnahme des Zugverkehrs 2026 ins 150 Kilometer von London entfernte Birmingham ist nun von 2031 die Rede. Die Teilstrecken nach Nordengland werden womöglich erst in zwanzig Jahren fertig.

Das Protestcamp in den Chilterns spielte in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle, obwohl Chequers, der Landsitz des Premierministers, nur wenige Kilometer entfernt ist. Auf Hooper Junior aber machte die Szenerie mit Baumhäusern hoch in den jahrhundertealten Buchen nachhaltigen Eindruck. "Da habe ich zum ersten Mal richtig verstanden, warum jemand mit Leidenschaft versucht, diese Zerstörung aufzuhalten", hat der 16-Jährige dem "Guardian" berichtet – zuvor hatte er von der Aktivistenvergangenheit seines Vaters nur eine sehr vage Vorstellung gehabt.

Tunnelsystem

Swampy I und II gehörten zu einer Gruppe von neun Ökoaktivisten, die direkt vor dem Zentral-Londoner Bahnhof Euston ein Tunnelsystem buddelten. Die dortige Grünfläche werde dem Ausbau des Bahnhofs zum Terminal der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zum Opfer fallen, fürchten sie. Tunnelveteran Swampy der Erste hat seine Erfahrung ausgespielt, mit Kartenspiel und guter Ernährung wird den Protestierern auch nach beinahe vier Wochen nicht langweilig. "Und immer gilt: Die Sicherheit geht vor."

Unterdessen mahlen die Mühlen der Justiz ihren langsamen, aber unaufhaltsamen Gang. Vergangene Woche bestätigte ein Richter am High Court per einstweiliger Anordnung die beantragte Räumung und forderte die Besetzer dazu auf, ihren Protest zu beenden. Swampy II kam tatsächlich nach 22 Tagen unter Tage an die Oberfläche und teilte breit lächelnd mit, er freue sich darauf, endlich die Mama wiederzusehen.

Die örtliche Bezirksregierung hat die verbleibenden menschlichen Maulwürfe zur freiwilligen Aufgabe gebeten, dann würden die Behörden auch gewiss Milde walten lassen. Eines haben die Swampys jedenfalls schon erreicht: Plötzlich steht das längst verabschiedete Großprojekt wieder in der öffentlichen Diskussion. (Sebastian Borger aus London, 22.2.2021)