Michael Völker

Mika war auf Anhieb begeistert. Üblicherweise reflektiert er mit seinen zweieinhalb Jahren eher auf Farbe, denn auf Form oder Motorisierung – und da ist das S-Klasse-Modell von Mercedes, das ich ihm nahezubringen versuchte, eher ein Abtörner: direktorengrauschwarzfad. An der dezenten Langeweile der Farbe lag es sicher nicht, aber vielleicht hat Mika meine eigene, nun ja, Aufregung ist vielleicht zu hoch gegriffen, Erregung geht ins falsche Fach, aber meine erhöhte Aufmerksamkeit und etwas schnellere Atmung registriert. Und als wir vor dem Auto standen, war eines jedenfalls klar: Pfau, ist der groß. Damit war auch für Mika klar: ein tolles Auto, super, so wie der Ferrari. Da hat der Papa vielleicht noch ein bisserl schneller geatmet.

Zur Langversion greifen 90 Prozent der Klientel. Wohltuend im optischen Auftritt ist der Verzicht auf Protzgrill à la BMW 7er. Antriebskapitel: Es kommt noch viel.
Foto: Stockinger

Aus Kindersicht, muss man sagen, bietet die S-Klasse allerhand. In erster Linie einen riesigen Innenraum, ein fahrendendes Kinderzimmer, wenn man sich denn darin bewegen darf. Gepolstert ist der Mercedes gut, da schmiegt sich Leder von allen Seiten an die empfindliche Kinderhaut. Und wenn man herumturnen darf: Man findet Platz und Halt. Und erst die Spielereien: eine Mittelkonsole zwischen den beiden hinteren Sitzen, mit iPad. Wer’s kann, der kann dort Internet, und erst die relativ großen Bildschirme, da kann man Video bis zum Umfallen und Einschlafen.

Apropos: Mika schläft im Kindersitz auch recht gut ein, aber der Sitz hinter dem Beifahrersitz ist der absolute Hammer. Der lässt sich nicht nur schräg stellen, der lässt sich zum absoluten Liegesitz ausfahren, dabei macht der Vordersitz entsprechend Platz. Da schläft dann auch der Papa gut. Oder der Herr Direktor, der vom Chauffeur zum Flugplatz oder zum Wochenendhäuschen gefahren wird. Und der Herr Direktor kann sich den Wagen mit etwas leichterer Hand leisten, weil doch knapp 200.000 Euro in Vollausstattung fällig werden.

Der Liegesitz für die automobile Entspannung: Da passt aber noch wesentlich mehr als der Mika rein, da kuschelt sich bequem ein Erwachsener horizontal ins Leder.
Foto: Völker

Schlafen ist gut, fahren ist noch besser. Weil nicht nur superkomfortabel, sondern auch 435 PS, die bewegen den Zweitonner relativ flott. Da vergisst man beinahe, welchen Koloss an Limousine man hier mitschleppt. Und hinten schnarcht leise der Kleine, später einmal klär’ ich ihn über den Benzinverbrauch auf.


Thorben Pollerhof

Den Kumpel für eine Testfahrt in der S-Klasse zu begeistern war nicht sehr schwer. Da reichte eigentlich schon das Wort "Mercedes", das Modell ist dann nur noch Detail-Gerede.

Der Gigant macht schon einiges her. Wie er über die Straße gleitet, als sei er keine Maschine von zwei Tonnen, sondern eher ein maßgeschneiderter Anzug, den man spazieren fährt. Das Gleiche gilt für innen, die Sitze, die Anzeigen, der eingebaute Duftversprüher – alles fühlt sich an, als wäre es genau am richtigen Ort und man selbst sei der einzige richtige Fahrer. Wenn auch die Frage erlaubt sein muss, ob man das wirklich alles in einem Auto braucht.

Foto: Stockinger

Ähnlich wie Kollege Völker sagte auch mein Kumpel, das sei das perfekte Auto für (sehr) gut betuchte Familien. Das sehe ich anders. Das ist das perfekte Auto für den (sehr) gut betuchten Chef, der sich durch die Gegend fahren lässt und nicht nur sich, sondern auch seinem Fahrer etwas Gutes tun möchte.

Denn so unscheinbar und gleichzeitig edel die S-Klasse ausschaut, so viele Spielereien hat sie hinter den Touch-Displays. Fernseh schauen in der Mittelkonsole oder in den Bildschirmen hinten? Kein Problem. Vielfältige Sound-und-Licht-Programme, um die eigene Stimmung zu heben? Logisch. Massig Massageprogramme, die sich nicht nur um die Schultern und den Rücken, sondern auch um die Oberschenkel kümmern? Selbstverständlich.

Foto: Stockinger

Wer das Steuer, und mit Steuer meine ich in dem Fall das Touchpad hinten in der Konsole, in der Hand hat, kann quasi das komplette Auto manipulieren. Das kann, vor allem bei Kindern und neugierigen Freunden, dazu führen, dass beim Fahren Dinge um einen herum passieren, die man selber nicht mehr beeinflussen kann.

Beispiel: Aus Podersdorf draußen, hörte ich von rechts nur "Ey, was macht denn die Massage da?", und schon spürte ich meine Sitzfläche vibrieren und kneten. Sonst angenehm, keine Frage, in der Hitze des Fahrens und ohne Ankündigung aber eine unwillkommene Überraschung.

Die S-Klasse ist ein Spielzeug. Ein teures, edles Spielzeug.


Andreas Stockinger

Eine ungemein geschmeidige Maschine. Als streichle man über Seide. So was gehört womöglich in 20 Jahren der Vergangenheit an, aber jetzt noch: Antriebskultur vom Feinsten. Ein Reihensechser mit Laufruhe und Leistung eines V8. Dann das Fahrwerk. Erstaunlich, auf welchem Niveau die Luftfederung hier inzwischen ist. Wenn man bedenkt, was das noch teilweise für bockige Dinger waren vor 20 Jahren, besonders bei kurzen Stößen. Und heute? Du gleitest selbst über schlechteste Straßen, als wären sie spiegeleben, schwebst wie auf Wolken. Die Allradlenkung sorgt dann noch dafür, dass du den 5,3-Meter-Riegel herumbugsierst wie ein deutlich kleineres Auto.

Foto: Stockinger

Bedienkonzept, -system: Nichts altert schneller als Hightech. Als die E-Klasse 2016 mit diesem Ultrabreit-Bildschirm daherkam, war das eine Sensation. Und jetzt? In der S-Klasse ist das schon wieder Schnee von gestern, aufgelöst zugunsten zweier Sichteinheiten, die rechte davon ist auch Bedienfläche.

Der Reihe nach. Blick durchs Volant: links und rechts Instrumententuben, man wähle aus diversen Stilen – gekennzeichnet mit minimal, sportlich, exklusiv (großartig, wirkt tags wie Meißener Porzellan), klassisch. Und dazwischen: Navikarte in 3D (geht sogar bildschirmfüllend)! Überm Lenkradkranz das HUD (Head-up-Display): Ist die Zielführung aktiv, zeigen wandernde, größer werdende Pfeile, wohin es jetzt gleich geht. Augmented Reality heißt das auf Neuschwäbisch.

Ab zum Knigge

Ja, und dann das Ding in der Mitte. Der Berührungsbildschirm wächst wie eine Woge aus dem Armlehnenniveau heraus, die formidable bisherige Dreh-Drück-Bedienung ist endgültig passé. Wem jedoch Touch nicht geheuer ist: Auch die "Hallo Mercedes"-Sprachbedienung ist auf einem ganz neuen Niveau angelangt. Nur deren Anrede – "Was kann ich für dich tun?" – ist indiskutabel. Da gehört ein höfliches "Sie" hin. Duzen geziemt sich nicht in diesen Kreisen. Ab zum Knigge.

Foto: Stockinger

Das Interieur spielt auch ästhetisch auf höchstem Niveau. Vorn der Querkorpus mit den Lüftungsdüsen ragt aber recht weit in die Fahrgastzelle, sodass man nicht immer gleich die ideale Sitzposition findet. Großgewachsene Chauffeusen oder Chauffeure werden das Problem aber nicht haben. Hinten in der Langversion ist das Highlight natürlich der Business-Sitz.

Grafik: Der Standard

Phänomen S-Klasse. Fraglos imponierend, was da an Hirnschmalz drinsteckt. Nicht umsonst hieß das Match dort oben in schwindelerregend-unerschwinglichen Regionen stets der "Kampf um das beste Auto der Welt", stets auch demonstrierte Mercedes, dass dies deren Domäne ist. In Luxus und geballten technischen Inhalten setzt die S-Klasse von Generation zu Generation die Messlatte. Die vermögende Klientel rund um den Globus weiß das zu schätzen, wie der Verkaufserfolg belegt. Und: Etliche der hier erstmals zum Einsatz kommenden technischen Schmankerln werden in den nächsten Jahren nach unten durchgereicht, Top-down-Prinzip nennt man das. Die Segnungen aus dem Olymp der Automobilbaukunst träufeln folglich zeitversetzt auch auf uns Normalsterbliche herab.

Motoren? Im Antriebskapitel kommt noch einiges hinzu. Wenn jetzt aber der Ruf der Öko-Fraktion laut wird, die S-Klasse sei ein Dinosaurier von gestern: langsam mit den jungen Pferden. Heuer noch debütiert der EQS. Auf einer ganz neuen technischen Architektur. Mit eigenständigem Design. Worum es da geht? Um nichts weniger als um eine: Elektro-S-Klasse. (Michael Völker, Thorben Pollerhof, Andreas Stockinger, 8.3.2021)