Der Tag geht, das Gourmetmenü kommt – ins Wohnmobil. Ganz oben im Mühlviertel hat sich ein besonderes Hotel etwas überlegt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Unsere Sehnsucht nach dem Wirtshaus – und die Sehnsucht der Wirte nach der Erfüllung ihres Schicksals – treibt inzwischen wilde Blüten. Allerorten sperren Gastronomen ihre Hütten wieder auf, um ein bisserl Speakeasy zu spielen. Verzweiflungsakte, zweifellos. Aber die Borniertheit von oben bittet geradezu darum, irgendwann mit Rebellion von unten quittiert zu werden.

Unser geliebter Nachbar Italien – dem das Virus bei Gott nicht weniger ins Mark gefahren ist als unsereins Alpinfexen – versteht es seit Monaten, mit flexiblen Modellen (Mittagsöffnung, regionale, inzidenzgesteuerte Regelungen …) das Herz der gastronomischen Kultur des Landes am Schlagen zu halten. Unseren Wichtigen scheint dazu außer Njet rein gar nichts einzufallen.

Die bis zum Erbrechen gepriesene Gastlichkeit gilt nur bei entsprechendem Touristendruck als Wesenszug des Landes. Dass die österreichische Seele im Wirtshaus ist oder gar nicht, versteht halt nur, wer selber eine hat. Zum Glück lassen sich manche auch von der sturen "Stirb langsam"-Doktrin nicht unterkriegen und entwickeln aberwitzige Ideen, um wenigstens irgendwie weiter Wirt sein zu können.

So empfängt das Bergergut in Oberafiesl seit ein paar Wochen wieder Gäste. Die dürfen natürlich nicht in den Suiten des als Love Hotel positionierten, neobarocken Massivbaus in der Wildnis des äußeren Mühlviertels nächtigen. Aber sie können im Camper anreisen und sich auf den als Stellplatz ausgewiesenen Parkplatz stellen, Panoramablick auf die Kalkalpen inklusive.

Dann dürfen sie ganz legal umsorgt werden und der Verbotskultur der Bundesregierung ein Schnippchen schlagen: Ein Wohnmobil gilt als eigene vier Wände und das Servieren des viergängigen Menüs plus Snacks und Aperitif als Essenslieferung. Nur halt ausnahmsweise auf feinem Porzellan, auf mit feiner Tischwäsche versehenen Tableaus, mit ausgesuchtem Wein und achtsamem Service.

Wasserbett lockt

Wildhendl aus Schlierbach wird ohne Scheu rosa gegrillt, ebenso rauchig wie zart wie saftig, dazu gibt es Knusperzwiebel mit ganz herrlicher Roggenbrotcreme.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Mit dem Steirereck-Alumnus Thomas Hofer steht hier einer der spannenderen Köche des Landes am Herd, der Ausflug ins Absurde lohnt also eindeutig. Wer will, kann davor oder danach sogar das "Personal Spa" mit Whirlpool, Dampfbad, Sauna und (Romantikhotel!) wobbling Wasserbett zur garantiert zweisamen Nutzung dazubuchen. Hinterher geht es aber auf die Schaumstoffliege des Campers.

Hofer legt die Campingverpflegung durchaus untypisch an. Kalbsleber wird über der Glut gegrillt und mit Pastinake und Dattelcreme serviert – gute Kombination, klare Ansage zum Start. Rote Rübe, hauchdünn über Rillettes aus Rauchforelle und Frischkäse geschichtet und mit gerösteten Haselnüssen und Kren vollendet, ist pure, winterliche Finesse. Der weiße Leithaberg DAC von Lichtenberger Gonzalez betört dazu mit karger, aus strahlendem Kalk gemeißelter Eleganz. Plötzlich wirkt auch das Plastik der Wohnmobileinrichtung ganz kuschelig.

Wildhendl aus Schlierbach wird ohne Scheu rosa gegrillt, ebenso rauchig wie zart wie saftig, dazu gibt es Knusperzwiebel mit ganz herrlicher Roggenbrotcreme (siehe Bild). Geschmorte Kalbshaxe mit doppelt knackigem Karfiol und Buddha-Hand-Zitrone aus dem nahen Haslach (!) sowie einer Erdäpfelcreme mit Milchkalbskopfragout ist dann so wuchtig, wie dieser bleierne Winter lang sein darf.

Dann noch Kaffee-Schokotarte mit eingelegter Physalis, Kaffeesorbet und knusprig kandierten Zitrusfrüchten – und man legt sich, kurzfristig mit der Welt versöhnt, nach hinten. Und denkt erst am nächsten Tag, wenn der genossenschaftliche Milchtanker beim Nachbarn vorfährt, wieder an die Realität. Dann kommt eh bald das Gourmetfrühstück. (Severin Corti, RONDO, 26.2.2021)

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