Grünflächen allein reichen nicht, um die Stadt klimagerecht zu machen. Bei der geplanten Umgestaltung des Pratersterns wird kritisiert, dass Autos gleich viel Platz gegeben wird wie bisher.

Rendering: Arge Praterstern, KENH Architekten und DnD Landschaftsplanung

"Das ist Kosmetik. Der Treiber von klimaschädlichen Emissionen, nämlich der Verkehr, wird nicht angegriffen", sagt Ulrich Leth, Verkehrsforscher an der Technischen Universität Wien und Sprecher der Plattform "Platz für Wien". Stein des Anstoßes sind die Pläne zur Umgestaltung des Pratersterns, die am Donnerstag präsentiert wurden. Begrünung, Wasserstellen und ein neues vegetarisches Lokal in der ehemaligen Polizeiinspektion sind die Eckpunkte des Konzepts, das von Verkehrsstadträtin Ulli Sima und Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (beide SPÖ) vorgestellt wurde. Die bis zu fünf Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr rund um den Stern bleiben jedoch weiter bestehen. "Ein paar Bäume irgendwo, das ist kein Klimaschutz", kommentiert dies Leth.

Drei Monate ist es bald her, dass die rot-pinke Koalition in Wien regiert. Maßnahmen im Bereich der Verkehrspolitik und Gestaltung des öffentlichen Raums stehen von jeher unter strenger Beobachtung. Jetzt, wo diese Themen nach zehn Jahren nicht mehr in den Händen der Grünen liegen, weil eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition nicht zustande kam, fürchten die Befürworter von Verkehrsberuhigung eine Rückwärtsbewegung.

"Fake-News" von Sima

Leth nennt als Beispiel abseits des Pratersterns die Umgestaltung der nahen Praterstraße, auf der entgegen bereits ausgearbeiteten Plänen doch keine Autospur eliminiert werden soll. Er wirft Sima sogar die Verbreitung von "Fake-News" vor. Sima hatte im Interview mit der "Kronen Zeitung" gesagt, dass bei Wegnahme einer Spur das Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigbar sei. Stimmt nicht, sagt Leth, der sich auf eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Stadt Wien beruft, die in der Zwischenzeit von der Webseite der Stadt genommen worden sei. Unter Ex-Verkehrsstadträtin Birgit Hebein und Ex-Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger (beide Grüne) war geplant, eine Spur für Autofahrer zu eliminieren und stattdessen einen breiteren Radweg zu schaffen.

Parkplätze Am Tabor

Ein weiteres Ärgernis ist für Leth die Diskussion um einen neuen Fahrradweg Am Tabor. Dort regten sich Bezirkspolitiker der SPÖ auf, weil, so deren Vorwurf, dem Vorhaben Parkplätze weichen mussten. Leth: "Sie vergessen aber dazuzusagen, dass ein neues Parkhaus genau an der Stelle gerade erst eröffnet wurde."

Von der Rolle als Klimamusterstadt, wie sie sich Rot-Pink an die Fahnen heftet, kann in seinen Augen keine Rede sein. Die ambitionierten Ziele in Sachen Klimaschutz gelten jedenfalls noch: Angestrebt wird laut Strategiepapieren der Stadt die Reduktion des CO2-Ausstoßes um 50 Prozent bis 2030. Angesichts schleppender Reformen hinsichtlich Alternativen zum Auto erscheint das jedoch immer unrealistischer.

Grüne Reformvorhaben

Doch ist unter Rot-Grün tatsächlich alles rosig gewesen? Meilensteine wie das 365-Euro-Jahresticket oder die Umgestaltung der Mariahilfer Straße zur Fußgänger- und Begegnungszone werden gern ins Treffen geführt, um den Erfolg der grünen Regierungsbeteiligung darzustellen. In den vergangenen Jahren konnten einige Projekte aber auch nicht umgesetzt werden: die sogenannte autofreie Innenstadt zum Beispiel, die aufgrund der aktiven Kommunikation im Vorwahlkampf und der vielen Ausnahmeregelungen zunächst für Koalitionskrach sorgte und später in den Schubladen verschwand.

Auch bei der Reform des Parkpickerls kam man nicht vom Fleck. Die Einführung einer City-Maut, wie sie die Grünen forderten, war schnell vom Tisch, ein Zonenmodell, das Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) angedeutet hatte, wurde ebenso wenig umgesetzt.

ÖAMTC will neue Parkraumbewirtschaftung

Parkraumbewirtschaftung, das ist ein Punkt, wo der ÖAMTC ansetzen möchte. Er schlägt in einer umfangreichen Betrachtung der Verkehrssituation auch ein neues Parkmodell vor und unterscheidet zwischen Bewohner- und Besucherparken. Ersteres soll Personen mit Hauptwohnsitz in Wien sowie Berufs- oder Personengruppen zur Verfügung stehen, die auf ein Auto angewiesen sind.

Für das Modell soll eine Unterteilung der Stadt in deutlich kleinere Zonen als die derzeitigen Bezirksgrenzen erfolgen. Bewohner sollen in der Zone ihres Hauptwohnsitzes günstig und unbegrenzt parken können. Der Tarif soll gegenüber den bestehenden Gebühren günstiger werden. Zusätzlich sollen Wiener Zonen dazukaufen können. Diese sollen teurer sein – jedenfalls sollen sie mehr kosten als eine Jahreskarte der Wiener Linien. Für Besucherparkplätze sollen wiederum andere, möglichst wenige Zonen gelten, für die man entsprechend mehr bezahlt und die stunden-, tage- oder wochenweise abgerechnet werden.

Schwebende Radwege

Das ÖAMTC-Papier enthält darüber hinaus Vorschläge für die Entsiegelung zubetonierter Flächen wie den Platz der Menschenrechte vor dem Museumsquartier oder den Wallensteinplatz. Mit den Schlagworten "Und statt oder" will man allen Gruppen, also Auto- und Radfahrern, Platz in der Stadt geben. Vorgeschlagen werden futuristisch anmutende schwebende Rad-Kreisverkehre: "Statt die knappen Ressourcen nach ideologischen Kriterien zu verteilen, ist es notwendig, neue Raumnutzungsmöglichkeiten zu schaffen", heißt es.

Überraschend, dass sich ein Autofahrerklub für Grünraum und Radwege einsetzt? Ernst Kloboucnik, ÖAMTC-Landesdirektor für Wien, Niederösterreich und Burgenland, sagt zum STANDARD: "Uns allen ist bewusst, dass der Klimawandel enorme Auswirkungen auf das Leben in der Stadt hat und hierfür auch entsprechende infrastrukturelle Maßnahmen nicht außer Acht gelassen werden dürfen."

Rückgang bei Öffi-Nutzung

Dass die Verkehrnutzung in Wien im Wandel ist, zeigt jedenfalls die aktuelle Modal-Split-Erhebung der Wiener Linien. Wie berichtet, kam es Corona-bedingt bei der Öffi-Nutzung 2020 zu einem Rückgang von 38 auf 27 Prozent in der Gesamtverkehrsnutzung. Der Anteil der Pkws ist mit 27 Prozent gleich geblieben. Ein Plus gibt es bei den Fußgängern (von 28 auf 37 Prozent) und den Radfahrern (von sieben auf neun Prozent). (Rosa Winkler-Hermaden, 23.2.2021)