Man muss das einmal sickern lassen: Der österreichische Bundeskanzler hat der Antikorruptionsbehörde, die gerade gegen seinen Intimus ermittelt, nun einen wütenden Brief geschrieben. Er spricht darin von "falschen Vorwürfen" sowie "fehlerhaften Fakten" der Justiz in der Causa Blümel. Und bietet gnädig an, "jederzeit" für eine Einvernahme zur Verfügung zu stehen – als müsste er das nicht sowieso, wenn die Ankläger danach verlangen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz hält fest, dass er sich "nie öffentlich in ein Verfahren einmischen" würde.
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Aus Sicht der türkisen Spindoktoren mag das ein schlauer Schachzug sein. Sollte Sebastian Kurz tatsächlich befragt werden, kann er sagen: Endlich kommt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft meiner Bitte nach! Da wird schlechter Presse bereits vorgebaut. Gleichzeitig wird durch den medienöffentlichen Abwehrkampf von höchster Stelle die Behörde delegitimiert. Die Methode ist bekannt. Man nennt das Litigation-PR. Durch gezielte Pressearbeit während eines Verfahrens soll die öffentliche Meinung darüber gesteuert werden.

Eine ungewollte Pointe setzt der Kanzler in seinem Schreiben, das natürlich sofort in allen Medien landete, am Schluss. Da hält Kurz fest, dass er sich "nie öffentlich in ein Verfahren einmischen" würde. Wäre es nicht so ernst, könnte einen das fast amüsieren. Denn seit der Hausdurchsuchung beim türkisen Finanzminister Gernot Blümel machen Kurz und seine ÖVP nichts anderes: Sie mischen sich ein. Öffentlich. Und setzen damit eine unabhängige Anklagebehörde unter Druck. Richter, Staatsanwälte und namhafte Juristen sind fassungslos oder zumindest in großer Sorge, was da gerade passiert.

Alte Verfehlungen

Um es klipp und klar festzuhalten: Ja, der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind Fehler passiert. Eine unliebsame Journalistin anzuzeigen war eine Grenzüberschreitung, die nie hätte passieren sollen. Die von der ÖVP derzeit ständig erwähnte Hausdurchsuchung im Verfassungsschutz (BVT) war rechtswidrig.

Aber bis vor kurzem hat die ÖVP all das nicht wirklich interessiert. 2019 hatte Kurz im Ibiza- U-Ausschuss noch erklärt, sich mit den Details der BVT-Affäre nicht beschäftigt zu haben. Seit gegen Gernot Blümel ermittelt wird, rückt nun fast täglich ein neuer ÖVP-Politiker aus, um teils mehrere Jahre alte Verfehlungen der Korruptionsankläger aufzuzählen. Das ist durchschaubar.

Es gibt für das Verhalten der ÖVP zwei Erklärungen. Entweder, die Kanzlerpartei ist hochgradig nervös – aus Angst, was da noch kommen könnte. Oder – und das ist mindestens genauso gut möglich – Kurz und seine Leute sind ehrlich empört, weil sie sich nichts zuschulden kommen ließen. Menschlich wäre es dann auch nachvollziehbar, dass sich Kurz ungerecht behandelt fühlt und um sich schlägt. Aber er ist der Bundeskanzler. Er hat Verantwortung. Und zu der zählt auch, dass er eine Staatsanwaltschaft in Ruhe arbeiten lässt. Ein Regierungschef, der die Justiz angreift, greift die Demokratie an.

Irgendjemand muss es dem Kanzler deshalb sagen: Es ist jetzt genug. Selbst dann, wenn sich Kurz zu Recht ärgern sollte. Er schadet inzwischen nicht nur seinem Ruf, sondern dem des ganzen Landes. Auch ausländische Medien berichten bereits kritisch über "des Kanzlers Kampf mit der Justiz". In der ÖVP gibt es offenbar niemanden, der die Notbremse zieht. Vielleicht sollte der Bundespräsident den Kanzler einmal wieder an die Gewaltenteilung erinnern. (Katharina Mittelstaedt, 22.2.2021)