Claire Lefèvre: Weichsein als Opposition gegen die Gefühlskälte.

Foto: Franzi Kreis

Darstellende Künste können auch radikal lieb sein, offensiv beruhigen und unheimlich einhüllen. Die junge französisch-österreichische Choreografin Claire Lefèvre tanzt jetzt mit einer neuen Soloarbeit über die Bildschirme des Brut, die genau in dieses Profil passt. Das in ein Video umgegossene Stück heißt peachfuzz und ist, was der Titel verspricht: ein Flaum.

Von Zosia Hołubowskas Klängen umschmeichelt, bewegt sich Lefèvre inmitten einer kleinen Gruppe junger Leute, die das pandemiebedingt abwesende Publikum darstellt. So wird die von der Künstlerin intendierte Live-Situation veranschaulicht: Man sitzt in Schaukelstühlen oder knotzt in weiche Decken gehüllt herum, lauscht vorgelesenen Worten, beobachtet die langsamen Bewegungen der Tänzerin, gerät möglicherweise in meditative Stimmung.

Biedermeier-Inferno ...

Es wird Leute geben, die sich dabei der Erlösung nah fühlen, andere dagegen könnten glauben, geradewegs in ein Biedermeier-Inferno geraten zu sein. Besonders den Letzteren kann peachfuzz als Therapie vielleicht jene Katharsis bringen, die ein harter Stoff nicht mehr liefert – vor allem zur Vorbereitung auf die nächste Zukunft.

Denn die "Radical Softness", auf die sich Claire Lefèvre bezieht, hat ihren Zenit als künstlerische Strategie noch nicht erreicht. Und sie ist als "Waffe" gedacht – so hat es die US-Künstlerin Lora Mathis als Initiatorin der "Radical Softness" vor vier Jahren jedenfalls ausgegeben. Heute gilt Weichsein als Opposition gegen die Gefühlskälte der regierenden Männerkultur. Es geht darum, ohne Rücksicht auf Verluste Gefühle zeigen.

In peachfuzz wird keine kritische Reflexion dieses Emo-Trends geboten, sondern die Teilnahme am sanften Erlebnis. Die Performance ist ganz auf "Love, Healing and Community Care" eingestellt. Mit diesen Begriffen bewirbt etwa das stets superhippe Brüsseler Kaaitheater gerade eines seiner Online-Programme. Und auch für Bettina Masuch, die künftige Leiterin des Festspielhauses St. Pölten, ist "Fürsorge" (vom englischen "care") ein programmatisches Schlüsselwort.

... oder Kuschelrebellion

Darüber, dass sich eine junge kulturliberale Elite in den USA und nun auch in Europa gerade im Weichspüler badet, sollte man sich freilich erst lustig machen, wenn die Ursachen dafür unter die Lupe genommen wurden.

Salopp gesagt: Radikal soft und queer stellt sich gegen radikal rechts oder zutiefst profitgeil. Vor allem jüngere Kunstschaffende spüren die Disruptionskälte unserer Technikwelt und ziehen sich buchstäblich warm an. "I don’t want to do anything. / I don’t want to be anything. / I want to disappear elegantly", schreibt Lora Mathis. Die "Radical Softness" erteilt jener offensiven Auseinandersetzung mit den Abgründen unserer Realität, die frühere Generationen durchexerziert haben, eine entschiedene Absage.

Wer nur ungern ins partizipative Live-Kuscheln gezogen werden will, hat mit diesem Video die Gelegenheit, ein bisschen reflexiven Abstand zu wahren. Wie schön. (Helmut Ploebst, 23.2.2021)