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Gina Rodriguez (li.) und Evan Rachel Wood in Miranda Julys weirder Komödie "Kajillionaire".

Foto: Matt Kennedy/Focus Features via AP

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Mit dem "Silly Walk" an der Mauer vorbei, um nur ja nicht beim Vermieter aufzufallen: Evan Rachel Wood, Debra Winger und Richard Jenkins.

Foto: Matt Kennedy/Focus Features via AP

Was für eine schräge Welt! Die kleinkriminelle Sippe um Mutter Theresa (Debra Winger), Vater Robert (Richard Jenkins) und Tochter Old Dolio (herrlich: Evan Rachel Wood, die jüngst mit ihren Missbrauchsvorwürfen gegenüber Marilyn Manson Schlagzeilen machte) wohnt in den alten Büroräumen neben einer Seifenfabrik (Bubbles Inc.!). Mehrmals am Tag müssen sie mit Kübeln bewaffnet den rosa Seifenschaum auffangen, der durch die an die Fabrik angrenzende Wand ins Wohnzimmer hereinblubbert. Und um dem nach der überfälligen Miete fragenden Fabrikchef und Vermieter, einem dauerverzweifelten Typ, zu entgehen, schleicht sich die Familie, ein jeder mit einem Signature-Move à la Monty Python’s Ministry of Silly Walks, täglich an dem Zaun vorbei. Emile Mosseris verspult-verträumter Soundtrack tut sein Übriges.

Universal Pictures Germany

"Vor Jahren waren wir normal", sagt Robert einmal, als Kajillionaire nicht mehr wirklich jung ist. Normal, gewöhnlich, langweilig ist im dritten Spielfilm der US-amerikanischen Künstlerin, Schriftstellerin und Regisseurin Miranda July, die vor rund 15 Jahren mit Ich und du und alle, die wir kennen ein gefeiertes Debüt vorgelegt hat, gar nichts. Nun hat er nach einem Corona-bedingt nur kurzen Zwischenstopp im internationalen Kino den Weg zu Amazon gefunden. Kajillionaire ist neben vielem anderen auch ein audiovisueller Diskurs über Nonkonformismus, der die Verschrobenheit mit jeder Faser zelebriert.

Mehr Geschäftspartner als Familie

Die im Zentrum stehende Old Dolio und ihre Eltern sind mehr Geschäftspartner als Familie, Liebesbekundungen und Zärtlichkeiten sind seit jeher tabu. Das Trio ist chronisch pleite und hält sich mit halbgaren Kleingangstereien über Wasser: Post aus Postfächern plündern und schauen, was dabei abfällt. Wie lässt sich wohl eine edel aussehenden blaue Krawatte zu Geld machen? Zur Begleichung der Mietschulden will die Familie ihren ganz persönlichen Oceans-Coup landen: 1500 Dollar Entschädigung verspricht eine Reiseversicherung für einen abhandengekommenen Koffer.

Wirklich kommen sieht man in Kajillionaire wenig. Der Film mäandert durch einen aberwitzigen Plot und bricht mit den Erwartungen der Zuschauer. "Wir sind keine Amischen, wir trinken Alkohol, wenn wir verletzt sind, gegen die Schmerzen", sagt Robert auf dem Rückflug von New York zur trinkfreudigen Melanie (Gina Rodriguez), die sich dem Trio anschließt. Dass sich zwischen der leichtbekleideten, selbstbewussten Lebefrau und der berührungsscheuen Old Dolio mit ihren langen Haaren und den überdimensionalen Joggingjacken eine zart inszenierte Liebe anbahnt, mag man kaum für möglich halten.

Kajillionaire ist ein gesellschaftskritischer Coming-of-Age-Film der anderen Art. July, die auch das Drehbuch geschrieben hat, gelingt das kleine Wunder, aus einer Verkettung unglaublicher Umstände einen hintersinnigen Film über einen prekären Familienverbund zu machen. "Kajillionaire", so verrät das Urban Dictionary, ist ein englisches Slangwort für unverschämt reiche Menschen und der Film eine skurril-melancholische Kapitalismuskritik. Was ist das für eine Welt, in der selbst die hippiesken Aussteigereltern emotional verroht sind und dem Konsumismus frönen? Das bisschen Geld, das sie eigentlich nicht haben, wird gleich in einen funkelnden Whirlpool gesteckt.

Aberwitziges System

Das eigentlich Bemerkenswerte in Kajillionaire sind nicht unbedingt nur die exzentrischen Figuren, sondern das aberwitzige System, in dem sie sich eingerichtet haben. In einer sagenhaften Schlüsselszene haben es die Familie und Melanie auf das Scheckheft eines einsamen alten Mannes abgesehen. Für den in seinem Bett liegenden Todkranken simuliert das Quartett die Geräusche einer gewöhnlichen Familie: kleine Zickereien, Topfklappern, Klavierspiel – gespielte Normalität für die eigenen leeren Taschen.

Es bebt unter der quietschbunten Fassade dieses kleinen Juwels – manchmal buchstäblich, wenn ein Erdbeben die Figuren in die Schockstarre zwingt. Aber aus den Trümmern kann, befreit vom konsumistischen Ballast, vielleicht auch Neues wachsen. (Jens Balkenborg, 24.2.2021)