New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo nimmt zwar Masken, aber kein Blatt vor den Mund.

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Vor zehn, elf Monaten war Andrew Cuomo so etwas wie der Ersatzlandesvater, bei dem viele US-Amerikaner Halt suchten. Während Donald Trump orakelte, Corona werde bald wundersam verschwinden, redete der demokratische Gouverneur New Yorks Tacheles. Er schilderte ohne Schnörkel die ernste Lage, präsentierte Fakten, streute mitunter Persönliches ein.

Ging es um den Lockdown, witzelte Cuomo, dass er den Freund seiner Tochter schon seit Wochen zu Hause ertrage. Mahnte der Präsident der USA Dankbarkeit an, weil er sich einsetze, obwohl die Verantwortung allein bei den Bundesstaaten liege, erinnerte ihn Cuomo an seine Pflichten. Trump erwarte, dass man ihm auf die Schulter klopfe, weil das Weiße Haus 400 Beatmungsgeräte schicke, polterte er, "aber was soll ich mit vierhundert Beatmungsgeräten, wenn ich dreißigtausend brauche?" Das Weiße Haus möge die 26.000 Menschen benennen, die sterben müssten, wenn man nur 400 Geräte schicke, fügte er entrüstet, wenn auch mathematisch falsch, hinzu. Das kam an: als Kontrastprogramm zu Trump’scher Schönfärberei.

Verstorbene in Spitälern nicht gezählt

Und zumindest tröstend könnte es auch in Zeiten der 500.000 Corona-Toten, die am Montagabend gezählt wurden, nicht sein. Allein: Heute weiß man, dass auch er selbst Unangenehmes unterschlagen hat. In New Yorks Altersheimen sind bis Jänner fast 15.000 Menschen an oder mit Corona gestorben, rund 5.000 mehr als zunächst von der Statistik ausgewiesen. Reporter der New York Post, eines konservativen Boulevardblatts, zeigten die Diskrepanz auf.

DER STANDARD

Die Lokalregierung hatte nur die Menschen gezählt, die in den Heimen an Covid-19 gestorben waren, nicht aber Altersheimbewohner, die man aus den Heimen in Krankenhäuser gebracht hatte und deren Tod dort festgestellt wurde. Schließlich musste Cuomo offenlegen, wie seine engste Vertraute die frisierten Zahlen gegenüber den Demokraten begründete. Man habe befürchtet, Trump könnte die Statistik politisch "gegen uns einsetzen", skizzierte Melissa De Rosa das Motiv.

Nach der Enthüllung brauchte der Gouverneur einige Tage, um sich zu entschuldigen. Es war ihm anzumerken, wie schwer er sich tat, einen Fehler einzugestehen. Zunächst sprach er relativierend von einem Informationsvakuum, das zwangsläufig andere gefüllt hätten, "die Presse, Zyniker, Politiker".

In einer Talkshow des Senders ABC indes beschrieb Ron Kim, Abgeordneter im New Yorker Parlament, wie wütend der Gouverneur werden kann, wenn man ihn kritisiert. Es genüge nicht, im kleinen Kreis Reue zu bekunden, hatte er gesagt. Vielmehr müsse man den Hinterbliebenen und darüber hinaus einem breiten Publikum zeigen, dass man die Fälschung bedauere.

Vernichtungsdrohung

Daraufhin, so der Demokrat, habe ihn Cuomo zu Hause angerufen und gedroht, ihn zu "vernichten". Plötzlich dreht sich der Diskurs nicht mehr um den Anti-Trump der Corona-Krise, sondern um ein übergroßes Ego, um Wutausbrüche und Einschüchterungsversuche.

Wobei es sicher falsch wäre, den in Bedrängnis Geratenen abzuschreiben. Cuomos Stehvermögen ist legendär: Seit 2011 Gouverneur, wurde er schon zweimal im Amt bestätigt. Nächstes Jahr will er noch einmal antreten. Das wäre womöglich ein Sprungbrett, um 2024 fürs Oval Office zu kandidieren. (Frank Herrmann aus Washington, 23.2.2021)