Ein fast gespenstischer Ort: Am Rande eines Waldes in der Weststeiermark stehen ausgediente Telefonzellen in einem Halbkreis herum.

Foto: Niko Ostermann

Das Ensemble wirkt fast ein bisschen unheimlich. Irgendwo in der Weststeiermark, am Rand eines Waldes, steht eine Handvoll Telefonzellen im Halbkreis herum, als würden sie auf etwas warten. Einen Abtransport zum Beispiel. Jugendliche Vandalen. Oder die goldene Zeit der Zellentelefonie, die nie wieder kommen wird.

Die Telefonzelle war einmal ein zentrales Kommunikationsinstrument. In den 1990er-Jahren gab es mehr als 30.000 davon in Österreich, zuerst als Münzfernsprecher, später als Kartentelefon geführt. Jugendliche riefen von dort ihr Eltern-Taxi an, Gastarbeiter ohne Festnetzanschluss telefonierten in die Heimat. Es war der Ort für Schmierereien, Geständnisse wie "X liebt Y" und Telefonate, die man zu Hause nicht führen konnte oder wollte. Das ist lange vorbei. Doch auch heute, da 97 Prozent der Österreicher ein Smartphone nutzen, stehen die grauen Kästen noch an jeder Ecke. Obwohl sie niemand zu benutzen scheint.

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Jeder Gemeinde ihre Zelle

Die Telefonzellen gibt es noch, weil es sie gesetzlich geben muss. Mit der Öffnung des Telekommunikationsmarkts Ende der 1990er regelte der Gesetzgeber auch den sogenannten Universaldienst. Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung für bestimmte Unternehmen, grundlegende Dienstleistung wie Post oder Telefonanschluss zu einem erschwinglichen Preis flächendeckend anzubieten. Die Universaldienstleister – in Österreich sind das die Österreichische Post AG und die A1 Telekom – werden dafür teils aus öffentlichen Mitteln, teils von anderen Marktteilnehmern entschädigt.

Im Telekommunikationsgesetz ist die "flächendeckende Versorgung" mit Telefonzellen, im Bürokratendeutsch "öffentliche Sprechstelle" genannt, zwingend vorgeschrieben. Anfangs wurde die Telekom verpflichtet, die Anzahl der Telefonzellen vom 1. Jänner 1999 aufrechtzuerhalten. Das wurde später durch Gesetzesnovellen – eine davon spielte eine Rolle in der Telekom-Affäre –immer weiter abgeschwächt. Die heute gültige Version der Universaldienst-Verordnung aus dem Jahr 2016 schreibt einen bestimmten Schlüssel vor – in jeder Gemeinde mindestens eine Telefonzelle, bei 1500 bis 3000 Einwohnern zwei, danach wieder für alle weiteren 3000 Einwohner eine.

Nutzt die noch jemand?

Da kommt doch einiges zusammen: A1 betreibt nach eigenen Angaben noch 11.000 öffentliche Sprechstellen. Davon sind circa 10.000 Telefonzellen, die anderen befinden sich in Einkaufszentren oder Krankenhäusern. Es ist ein defizitäres Geschäft, das sich über die Entschädigung finanziert. "Aus rein kommerziellen Gründen könnten heute nur mehr wenige Standorte wie Bahnhöfe oder Einkaufszentren betrieben werden", sagt Livia Dandrea-Böhm, Sprecherin von A1.

Die naheliegende Frage: Benutzt die eigentlich noch jemand? Ein beobachtender Feldversuch an einer Telefonzelle in der Wiener Innenstadt musste nach drei Stunden witterungsbedingt abgebrochen werden, es kam aber auch einfach niemand. Die Zahlen sind überschaubar: 2017 wurden in Österreich 2,8 Millionen Sprachminuten aus Telefonzellen vertelefoniert. "Die Nutzer sind hauptsächlich Jugendliche, Handybesitzer mit leerem Akku, Menschen mit geringem Einkommen und Touristen", sagt Dandrea-Böhm. Neben den 21,8 Milliarden Minuten, die auf das Mobilfunknetz entfielen, ist das verschwindend gering. Die Schweiz entband die Swisscom 2017 von der Pflicht, Telefonzellen zu betreiben. Im November 2019 wurde die letzte abmontiert und wanderte in ein Museum.

In Österreich ist man noch nicht so weit. Allerdings verschwanden auch hier den letzten Jahren eine Menge Telefonzellen leise aus dem Stadtbild: 2016 gab es laut Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage noch 16.000 in Österreich, es sind also heute knapp 5000 weniger. Einige davon wurden zu Bücherzellen, andere zu E-Tankstellen und Paketshops. Manche wurden Teil von Kunstprojekten. Und manche wanderten in den Wald.

Die Telefonzelle schwindet seit Jahren leise, doch so richtig radikal hat sich die Politik noch nicht über das Thema getraut. Es gab immer das Argument der Notrufnummern, die von Telefonzellen frei anwählbar sein müssen. Wie oft das noch in Anspruch genommen wird, kann oder mag man bei A1 nicht sagen.

Das Ende der Sprechzelle

Jetzt könnte sich das Ganze allerdings schneller erledigen, als man denkt. Im Ministerialentwurf des neuen Telekommunikationsgesetzes aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, in dem auch die Telekommunikationsagenden liegen, findet sich die "öffentliche Sprechstelle" nicht mehr. Die A1 Telekom wäre damit nicht mehr verpflichtet, diese zu betreiben. Der Hintergrund sind neue EU-Vorgaben, die unter Universaldienstleistungen nur Breitbandinternetzugang und Sprachkommunikationsdienste fassen.

"Der Spielraum für nationale Alleingänge ist vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben begrenzt", sagt der Jurist Hans Peter Lehofer, Honorarprofessor an der WU Wien. Es gibt zwar prinzipiell noch die Möglichkeit für Übergangsbestimmungen, aber nur mit Begründung. "Wenn Österreich nicht feststellt, dass es notwendig ist, einem Anbieter eine Verpflichtung zur Bereithaltung von Telefonzellen vorzuschreiben, dann darf diese auch nicht beibehalten werden." Aus dem Ministerium wird ebenfalls auf die neue EU-Richtlinie verwiesen. Betreiber könnten natürlich auch künftig an Standorten wie Bahnhöfen oder Flughäfen freiwillig Telefonzellen errichten, diese würden dann aber nicht mehr dem Finanzierungsmechanismus unterliegen.

Landschaftsmobiliar

Die Zeit der Telefonzelle könnte sich also in Österreich bald dem Ende zuneigen, zumindest flächendeckend. In der SPÖ sieht man das Vorhaben kritisch. "Die Regierung will eine öffentliche Infrastruktur abschaffen, ohne andeutungsweise klarzumachen, was die Folgen sind und was Alternativen sein könnten", sagt Petra Oberrauner, Bereichssprecherin für Digitalisierung.

Eva Blimlinger, Kultursprecherin der Grünen, sieht in den Telefonzellen mittlerweile vor allem Kulturobjekte. Zusätzlich zu den bereits bestehenden Nachnutzungskonzepten könne man sie begrünen, zu Pflanzentauschbörsen umfunktionieren oder lokale Kleinstausstellungen ermöglichen. "Wir brauchen sie jedenfalls als Landschaftsmobiliar. Alles ist möglich in der Telefonzelle."

Und was hat es jetzt mit diesen Ansammlungen von Telefonzellen auf sich, die in der Weststeiermark und an anderen Orten in Österreich gespenstisch herumstehen? Das sind laut A1 regionale Ersatzteillager für etwaige Reparaturen. Es sind also genau genommen keine "Telefonzellenfriedhöfe", auch wenn sie manchmal so genannt werden. Noch nicht zumindest. (Jonas Vogt, 24.2.2021)