Ökonom Zweimüller forscht zu Arbeitsmarktfragen.

Zweimüller

Der Equal Pay Day diese Woche sollte auf eine Diskrepanz aufmerksam machen: Frauen verdienen in Österreich durchschnittlich um 14,3 Prozent weniger als Männer, umgerechnet sind das 52 Arbeitstage. Mit der Vermessung dieser Differenz beschäftigt sich der Ökonom Josef Zweimüller intensiv.

STANDARD: Ist es richtig, davon zu sprechen, dass Frauen und Männer im Job ungleich bezahlt werden? Die Wissenschaft sagt inzwischen, dass es vor allem Mütter sind, die weniger verdienen.

Zweimüller: Es gibt nach wie vor Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Aber richtig ist ebenso, dass Mutterschaft die wichtigste Ursache dafür ist, dass Frauen ein geringeres Arbeitseinkommen erzielen als Männer. Nach dem ersten Kind ziehen sich Frauen vorübergehend oder häufig dauerhaft vom Arbeitsmarkt zurück. Wenn sie zurückkehren, arbeiten sie oft nur noch Teilzeit. Sie machen in der Folge weniger Karrieresprünge. All das kumuliert zu einem messbaren "child penalty" am Arbeitsmarkt.

STANDARD: Wie viel vom Gehaltsunterschied lässt sich damit erklären?

Zweimüller: Rund 80 Prozent der Einkommensunterschiede in Österreich sind auf Mutterschaft zurückzuführen. Der Rest entfällt auf Ursachen, die alle Frauen betreffen, wie Diskriminierung oder die Tatsache, dass mehr Frauen in tendenziell schlechter bezahlten Berufen arbeiten.

STANDARD: Wirkt sich ein Kind auch negativ auf das Einkommen der Väter aus?

Zweimüller: Der "child penalty" wird gemessen, indem man vergleicht, wie sich die Einkommen von Frauen, die im Jahr X ein Kind bekommen, im Vergleich zu gleichaltrigen Frauen ohne Kinder entwickeln. Das lässt sich genauso für Männer machen. Bei Männern bedeutet ein Kind im Regelfall gar keine Gehaltseinbußen, nur Schweden bildet da eine Ausnahme. Elternschaft wirkt sich also nur auf Mütter negativ aus, wobei die Dimensionen sehr unterschiedlich sind. In Österreich, Deutschland und der Schweiz ist der "child penalty" doppelt so hoch wie in skandinavischen Ländern.

STANDARD: Welcher Mechanismus wirkt da?

Zweimüller: Wir gehen davon aus, dass vorhandene Geschlechternormen der wichtigste Faktor dafür sind. Eine genderkonservative Gesellschaft wie jene in Österreich reproduziert offenbar ständig bestehende Ungleichheiten. Die vorherrschende Norm ist, dass Mütter für das Kind zu Hause bleiben oder zumindest auf eine Karriere verzichten sollen, damit sie ihre Mutterrolle richtig erfüllten können.

STANDARD: Sie haben vor kurzem mit einer Studie für heftige Debatten gesorgt, die für Österreich analysiert hat, was der Ausbau von Kindergartenplätzen verändert.

Zweimüller: Es wird oft behauptet, dass die Einkommensnachteile fast von selbst verschwinden würden, wenn nur die Kinderbetreuung ausgebaut wird. Dafür gibt es allerdings keine empirische Evidenz. Wir haben das für Österreich untersucht. Wir haben uns angesehen, wie viele Kindertagesstätten es in jeder Gemeinde gibt. Weil die Zahl der Kinder bekannt ist, lässt sich genau sagen, wie hoch der Versorgungsgrad mit Kindergärten und Kinderkrippen ist. Dabei gab es eine dynamische Entwicklung: Ende der 1980er-Jahre waren weniger als fünf Prozent der unter Dreijährigen in Kinderkrippen betreut. Heute sind es mehr als 30 Prozent. Bei den Kindergärten gab es einen Sprung im Versorgungsgrad von 50 auf nahezu 100 Prozent.

Welche Rolle spielen Väter bei der Kinderbetreuung? In Österreich zu oft keine oder nur eine untergeordnete, sagt der Ökonom Josef Zweimüller.
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STANDARD: Was hat das verändert?

Zweimüller: Wir haben verglichen, was in Gemeinden geschieht, in denen es eine Ausweitung des Betreuungsangebotes gab, und was dort passiert, wo es diese Ausweitung nicht gab. Das war unsere Kontrollgruppe. Die Erwartung war, dass Mütter als eine Folge der Angebotsausweitung eher auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Das ernüchternde Ergebnis ist, das hat uns selber erstaunt, dass der Ausbau der Kindergärten keinen Effekt hat auf die "child penalty". Wir haben tief gegraben, um zu überprüfen, ob das stimmen kann: Das tut es.

STANDARD: Was ist die Erklärung?

Zweimüller: Eine naheliegende Überlegung war, dass, wenn Mütter die Möglichkeit haben, Kinder für relativ geringe Kosten in Kinderkrippen zu geben, sie das zwar tun, dies aber nicht automatisch heißt, dass sie mehr arbeiten. Es kann auch sein, dass sie sich in einer ohnehin stressigen Zeit einfach etwas entlasten. Manche haben auch die Betreuung durch die Großeltern ersetzt.

STANDARD: Eine Kritik an der Studie war, dass der Ausbau der Betreuung wirkt, aber paradox: Es kehren mehr Mütter auf den Arbeitsmarkt zurück, verdienen aber viel weniger, weil sie nur Teilzeit arbeiten. Das verzerre die Statistik.

Zweimüller: Diese Paradoxie gibt es nicht. Unsere Berechnungen beziehen die Einkommen der gesamten Bevölkerung mit ein: Frauen, die arbeiten, als auch Frauen, die nicht arbeiten. Letztere gehen mit einem Einkommen von null in die Berechnung des Durchschnittseinkommens ein. Wenn also mehr Mütter auf den Jobmarkt zurückkehren, erhöht das ihre durchschnittlichen Einkommen, selbst wenn sie nur Teilzeit arbeiten.

STANDARD: Was könnte einen Kulturwandel herbeiführen?

Zweimüller: Hier ist es interessant, zu schauen, was die Skandinavier anders machen. Wenn ich mit Kollegen in Skandinavien spreche, erzählen sie, dass es bei ihnen klar ist, dass der Vater am späten Nachmittag die Kinder vom Kindergarten abholt, und der Arbeitgeber würde irritiert sein, wenn ein Vater das nie macht. Das ist dort selbstverständlich. In der Schweiz rümpft der Arbeitgeber da eher die Nase. Was die Kinderbetreuung betrifft, ist es wichtig, dass Arbeitgeber akzeptieren, wenn der Vater sich engagiert und das Kind vom Kindergarten abholt. Das könnte einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Kindergartenplätze wirklich eine partnerschaftlichere Aufteilung bei der Betreuung bringen.

STANDARD: Ein wichtiger Schlüssel liegt also bei Betrieben?

Zweimüller: Definitiv. Wichtig ist, dass Unternehmen familienfreundliche Jobs zur Verfügung stellen. Das bedeutet eben auch, dass es keinen Nachteil für Väter geben darf, wenn sie sich mitengagieren in der Betreuung. Man könnte sich überlegen, familienfreundliche Unternehmen zu fördern. Auch Transparenz kann helfen. Man könnte zum Beispiel nachfragen, wenn in Betrieben nie ein Vater in Karenz war. Es müsste auch transparenter sein, ob Betriebe Frauen gleichbehandeln oder aber ihnen systematisch weniger bezahlen.

STANDARD: Eine Aufgabe für die Politik.

Zweimüller: Ein Punkt, den man schon sehen muss, ist, dass die bestehenden Unterschiede am Arbeitsmarkt die Gleichbehandlung zwischen Müttern und Vätern nochmals erschweren. Wenn Männer 50 Prozent der Arbeitszeit reduzieren, wirkt sich das für einen Haushalt stärker aus, als wenn die Frau das tut, weil Männer im Durchschnitt mehr verdienen.

STANDARD: Kann es sein, dass Frauen nicht nur Diskriminierung ausgesetzt sind, sondern sich als Mütter bewusst entscheiden, mehr Zeit mit ihrem Kind zu verbringen?

Zweimüller: Absolut. Warum Frauen Geschlechternormen akzeptieren, hat viele Gründe. Es könnte sein, dass sie Druck ausgesetzt sind und sich dem Schicksal fügen. Andere sind happy und genießen die Mutterrolle. Jede Mutter soll frei entscheiden können. Man muss aber berücksichtigen: Die Rechnung kommt in der Pension. Denn Kinderbetreuungszeiten werden nach wie vor nicht adäquat angerechnet. (András Szigetvari, 24.2.2021)