Oberstdorf gehört trotz der WM den Oberstdorfern fast allein. Der Sonnenbalkon des Allgäus hofft auf den Sommer.

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Immerhin, der hässlichen Baustelle unweit des Zentrums, mitten in der Hochsaison, braucht sich Oberstdorf jetzt nicht zu schämen. Sieht ja fast keiner, ist ja fast keiner da. Und wenn sie dann fertig ist, die neue Talstation der Nebelhornbahn, spätestens im späten Frühjahr, wenn die Zehnerkabinen im Pininfarina-Look mit Panoramaaussicht hinaufschweben in gut 2.200 Meter Höhe, dann ist ja sicher alles wieder gut. Dann werden sich die investierten 55 Millionen Euro schnell wieder hereinspielen lassen, durch die Verdoppelung der stündlichen Beförderungskapazität auf 1.200 Personen.

Auch so trösten sie sich gegenwärtig in der südlichsten Gemeinde Deutschlands, die knapp 10.000 Einwohner und 17.000 Gästebetten zählt. Er wäre normal um diese Zeit völlig überlaufen, der Sonnenbalkon im Oberallgäu, durch eher gesetzteres Publikum, das breites Freizeitangebot auf Pisten, Loipen, Eisflächen und im Hallenbad ebenso schätzt wie deftig Bayerisches auf dem Tisch, Einkaufsmöglichkeiten in einer schönen Fußgängerzone und dazu relative Ruhe.

Die hätte es gerade in diesem Jahr, in diesen Tagen nicht gespielt in Oberstdorf, erhielt die Gemeinde doch 2016 nach langem Bemühen im fernen Cancún – wo sonst hätte der 50. Kongress des Weltskiverbands Fis auch tagen sollen? – für 2021 ihre dritte Nordische WM nach 1987 und 2005 zugesprochen.

Jedes Bett zählt

Noch im Dezember 2019 sah sich ihr Generalsekretär und Organisationschef Florian Stern bei einer Veranstaltung gezwungen, den örtlichen Vermieterinnen und Vermietern ins Gewissen zu reden, die hin- und hergerissen waren zwischen der Ehre, die nordischen Sportstars samt Tross und Fans zu beherbergen, und der Gefahr, das zahlungskräftige Stammpublikum zu vergrämen. "Jedes Zimmer, jede Wohnung zählt", sagte Stern. "Wir brauchen jedes Bett", sprang ihm Kurdirektor Frank Jost bei. Corona war da noch das exotische Problem einer Stadt namens Wuhan.

Rund 450 Tage später, mitten in einem strengen Lockdown, schätzen sich jene Oberstdorfer glücklich, die mithelfen dürfen, an die 5000 Menschen – Sportler, Betreuer, Offizielle und Medienvolk – unterzubringen während der WM. Ähnlich geht es dem Lebensmittelhandel. Die auf Abhol- und Lieferservice beschränkte Gastronomie hat dagegen zum Teil resigniert, als im Jänner gewiss wurde, dass nicht einmal reduzierte Zuschauerzahlen – 2.000 in der Skisprungarena, 2.500 im Langlaufstadion – möglich sein werden. Übrig bleibt das nicht konsumierende "Papp-likum" aus Fotografien von Fans auf den leeren Plätzen.

Die 50.000 schon verkauften Eintrittskarten werden zurückerstattet, kalkuliert worden war mit insgesamt 400.000 Zuschauern. Zugrunde geht Oberstdorf nicht, wenn sie ausbleiben. Die Investitionen in Höhe von 40 Millionen Euro stemmen Bund und Land, das OK ist dazu gut versichert.

Keine Versicherung

Gegen die Missstimmung im Ort gab es keine Versicherung. Der Sportevent in der Pandemie nährt die Sorge, steigende Infektionszahlen könnten auch noch dem Sommertourismus schaden. Immerhin können die Oberstdorfer jetzt selbst auf den begehrten Plätzen entlang der Mauer des Friedhofs um die zentrale Kirche St. Johannes Baptist in der Sonne sitzen.

Die Straßen sind leer und still, wie es das aktuell natürlich geschlossene Heimatmuseum auch im ärgsten Trubel wäre, obwohl doch drinnen unter anderem ein Ski zu sehen ist, mit dem Toni Innauer Anfang März 1976 auf der örtlichen Heini-Klopfer-Flugschanze den Weltrekord auf 176 Meter verbesserte. Wer vor diesem traditionellen Bauernhaus steht, wähnt sich fast ans Ende des 19. Jahrhunderts zurückversetzt, als der Markt Oberstdorf die ersten Luftkurgäste begrüßte.

Flanierende Sportler, die bei einer Nordischen WM zum Bild gehören, gibt es nicht. Die sind nur an den Schanzen und Loipen anzutreffen. Lediglich umfassend getestete Personen haben Zutritt, Geld verdient wird in Oberstdorf, so hat es den Anschein, derzeit vor allem mit den 13.000 PCR- und 17.500 Antigentests zu 90 bzw. 45 Euro das Stück, die an Akkreditierten insgesamt genommen werden.

Der Zuspruch des Wahloberstdorfers und Eiger-Nordwand-Erstdurchsteigers Anderl Heckmair, wonach Bier, in Maßen genossen, auch in großen Mengen nicht schaden kann, wird in Oberstdorf kaum beherzigt werden. Die Hektoliter, die skandinavische Fans mit Unterstützung von Finnen und Einheimischen vernichtet hätten, müssen wohl weggeschüttet werden.

Heia und Skål

Vor zwei Jahren in Seefeld waren zigtausende Norweger bei der WM dabei. Heia Norge und Skål, das herzhafte Prost, werden im Oberallgäu nicht zu hören sein, das Drachenschiff, das ein Klub von Langlauffanatikern von Großereignis zu Großereignis mit sich zu schleppen pflegt, nicht zu sehen sein. Der ideale Anlegeplatz bei einer Stauung der Trettach steht wegen der hässlichen Nebelhornbahnbaustelle aber ohnehin nicht zur Verfügung. (Sigi Lützow, 24.2.2021)