Wer dieser Tage dem Naturhistorischen Museum in Wien einen Besuch abstattet, steht gleich nach dem Eintritt einem irritierenden Objekt gegenüber. Ein Coloniakübel aus schwarzem Kunststoff thront zentral in der Eingangshalle. "Bitte keinen Müll einwerfen!" steht auf angeklebten Zetteln – offenbar wurde das Schaustück bereits gelegentlich für seinen ursprünglichen Zweck benutzt und damit dennoch zweckentfremdet. Beim Nähertreten fällt der Blick auf einen in der Tonne montierten Videomonitor. Der gezeigte Film bietet den Einstieg in die aktuelle Sonderausstellung "Ablaufdatum – Wenn aus Lebensmitteln Müll wird".

Detailliert wird in der Schau ein im Alltag zumeist ignoriertes gesamtgesellschaftliches Problem aufgedröselt: die exzessive Lebensmittelverschwendung. Rund ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel wird Berechnungen zufolge nicht als Nahrung konsumiert, sondern geht verloren. Dies beginnt schon auf dem Feld und führt über den Transport, den Handel und die Gastronomie bis zu den privaten Haushalten.

Ein Coloniakübel thront in der Eingangshalle des NHM.
Foto: Michael Vosatka

50 Millionen Tonnen verlassen erst gar nicht die Felder

Obst und Gemüse, das den Normen des Handels oder den Vorstellungen der Konsumenten nicht entspricht, wird schon direkt auf den Feldern wieder eingeackert – in Europa die unfassbare Menge von 50 Millionen Tonnen. Sogenannte "Wunderlinge", deren Form nicht mit dem verlangten Ideal übereinstimmt, schaffen es so erst gar nicht in die Supermarktregale.

Dabei ist die Landwirtschaft verantwortlich für einige der gravierendsten Umweltprobleme. Ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen geht auf das Konto der Landwirtschaft. Die weggeworfenen Lebensmittel verursachen dieselbe Menge an klimaschädlichen Gasen wie Pkws. Erdöl wird in gewaltigen Mengen verbraucht, für den Betrieb von landwirtschaftlichen Maschinen ebenso wie bei der Produktion von Kunstdünger. Immer größere Flächen werden von Monokulturen in Beschlag genommen, und damit wird der Lebensraum unzähliger Tier- und Pflanzenarten zerstört. Der Einsatz von Insektiziden und Herbiziden tut ein Übriges.

Brot und Gebäck nach einem Tag im Müll

Was nicht beim Transport verdirbt und die Supermärkte erreicht, landet dennoch oft im Müll. Schon leichte Mängel machen ein Produkt ebenso unverkäuflich wie das herannahende Mindesthaltbarkeitsdatum, welches meist als "Ablaufdatum" missinterpretiert wird. Dabei handelt es sich nur um den Zeitpunkt, bis zu dem jedenfalls die Genießbarkeit eines Produkts garantiert wird. Backwaren wiederum werden den Konsumenten im Supermarkt bis Geschäftsschluss uneingeschränkt zur Verfügung gestellt und danach entsorgt. Mit der in Wien auf diese Weise weggeschmissenen Menge Brot könnte Graz komplett versorgt werden.

Als Resultat sind die Mülltonnen der Supermärkte regelmäßig randvoll mit Waren, die grundsätzlich noch unbedenklich wären. Sogenannte Dumpsterer oder Mülltaucher holen sich aus den Tonnen noch Brauchbares, bewegen sich dabei allerdings in einem rechtlich fragwürdigen Bereich und werden von den Supermärkten nach Kräften an ihrem Tun gehindert. Im ersten Raum der Ausstellung wird dieser Situation Rechnung getragen: Hier sind mit Tiefkühlprodukten, Obst und Brot randvoll gefüllte Müllgefäße hinter hohen Gitterzäunen aufgestellt.

NHMWien

Zahlen, Daten, Fakten

Auch im anschließenden Saal erwarten den Besucher Mülltonnen als gestalterisches Element. Über ihnen montierte Stoffbahnen mit Grafiken und Daten dokumentieren das Ausmaß der Verschwendung von Lebensmitteln in verschiedenen Bereichen – von den heimischen Haushalten bis zur globalen Dimension. Trotz intensiver Recherche von Studien sei man jedoch bei manchen Fragestellungen auf unterschiedliche, bei manchen auf gar keine verlässlichen Daten gestoßen, sagt NHM-Museumspädagoge Andreas Hantschk. Der Themenkomplex bietet also noch ein weites Feld für die Forschung.

Ein großer Teil der von den privaten Haushalten weggeworfenen Lebensmittel – mehr als hundert Kilogramm pro Jahr und Haushalt – geht auf den übervorsichtigen Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum zurück. Natürlich schlägt sich auch unser Konsumverhalten nieder: Oft genug laden wir, verleitet durch Werbung oder auch Launen, viel zu viel und vor allem Überflüssiges in den Einkaufswagen.

In unserer Konsumgesellschaft wird allzu oft viel in die Einkaufswagen geladen. Ein Drittel der Produkte geht verloren.
Foto: Foto: NHM Wien / Schumacher

Opfer der Corona-Lockdowns

Ausgesprochen bedauerlich ist die Tatsache, dass die edukative Ausstellung zu großen Teilen den Corona-Sperren zum Opfer fällt. Ursprünglich am 7. Dezember nach dem zweiten Lockdown gestartet, musste mit dem dritten Lockdown ab 26. Dezember schon wieder geschlossen werden. Doch gerade die Weihnachtszeit wäre ein idealer Zeitpunkt für den Besuch der Schau gewesen, wenn die Kühlschränke in vielen Wohnungen zum Bersten gefüllt sind und nach den Feiertagen wohl so manche eingelagerten Lebensmittel wieder entsorgt werden. Aktuell dürfen die Museen offen halten, und "Ablaufdatum" kann noch knapp drei Monate besucht werden. Doch weitere Zwangssperren sind zu befürchten.

Dabei erfüllt das Ausstellungskonzept mit einem vielfältigen und multimedialen Rahmen- und Mitmachprogramm den Bildungsauftrag des NHM. Besucher sollten in geplanten Workshops mit der "Wiener Tafel" im Rahmen eines Sensorik-Labors erfahren können, wie sie mit ihren natürlichen Sinneswahrnehmungen die Qualität von Lebensmitteln abseits eines willkürlichen Ablaufdatums anhand von Geruch, Geschmack und natürlich auch optisch prüfen können.

Das Programm ist maßgeschneidert für Schulklassen und Gruppen, doch diese bleiben freilich fern – gezwungenermaßen aufgrund der Corona-Politik der Regierung, in deren Rahmen zukunftsweisende Bildungs- und Kulturthemen gegenüber diffusen Zielvorgaben von Infektionszahlen hintangestellt werden. (Michael Vosatka, 24.2.2021)