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Ohne den Kontakt mit Gleichaltrigen entstehen bei Kindern häufiger Ängste und andere psychische Krankheiten.

Foto: Getty Images/DaniloAndjus

Frage:

"Ich kann nicht mehr. Und mein Sohn kann auch nicht mehr. Er ist jetzt zwölf Jahre alt und geht ins Gymnasium. Nach den Weihnachtsferien ist mir aufgefallen, dass die Luft bei ihm draußen ist. Er hat keine Hoffnung mehr irgendwie, dass er jemals wieder normal in die Schule gehen wird. Jemals wieder ein normales Leben führen wird, er im Sportverein mit seinen Freunden trainieren und Wettkämpfe besuchen wird. Er hat jegliche Lebenslust verloren, hängt den ganzen Tag nur noch vorm Fernseher oder vorm Smartphone und schaut traurig drein. Ich versuche ihn dann immer zu motivieren, sage ihm, dass es bald vorbei ist und dass wir bald ein normales Leben führen werden (obwohl ich es ja selbst nicht ganz glaube). Aber ich will ihn motivieren.

Ich mache mir langsam wirklich Sorgen um ihn. Er ist normalerweise ein richtiges Energiebündel und immer gut drauf, aber in den letzten zwei Monaten war er nur noch müde – müde von Corona. Von dem Ganzen. Und ich weiß als Mutter langsam auch nicht mehr, wie ich ihn motivieren soll. Ich will ihn auch nicht zu einer Therapeutin schleifen, weil mit ihm ist wahrscheinlich alles in Ordnung. Nur da draußen ist halt nichts mehr in Ordnung, und irgendwie verstehe ich ja, dass ihn das fertigmacht. Ich merke es ja schon bei uns Erwachsenen.

Meine Frage ist nun: Was kann ich tun, damit ich wieder etwas Leben in diesen Zwölfjährigen bekomme? Wie kann ich ihn für die Schule motivieren? Ihm klarmachen, dass es dennoch wichtig ist zu lernen? Dranzubleiben? Ich hoffe auf ein paar nützliche Ratschläge! Danke!"


Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Was Sie von Ihrem Sohn beschreiben, trägt die Züge einer beginnenden Depression. Auf die Einschränkungen, die die Pandemie und der Umgang mit ihr mit sich bringen, ist das angesichts der Dauer mehr als verständlich, und Ihr Zwölfjähriger ist einer von sehr vielen, denen es so geht. Wir Menschen sind eben soziale Wesen. Beziehungen sind ein essenzielles Grundbedürfnis, und so wird von zahlreichen alten Menschen berichtet, dass sie lieber das Risiko auf sich nehmen wollen, an der Krankheit zu sterben, als in der fortdauernden Isolation auszuharren. Bei Kindern am Beginn der Pubertät sind die sozialen Erfahrungen mit anderen ganz besonders wichtig, weil es in dieser Lebensphase zum Aufbau der eigenen erwachsenen Identität durch den Austausch in den Peer-Groups und mit anderen Vorbildern außerhalb der Familie kommt.

Damit nicht genug, verstärkt das Gefühl der Ungerechtigkeit angesichts des gefühlten Hausarrests die Frustration über die aktuellen Lebensumstände – ein Thema, das sicher noch politische Wellen schlagen wird, worauf unsere Gesellschaft vorbereitet sein sollte. Fernseher und Smartphone sind kein Ersatz für echte Beziehungen, weil am Bildschirm der lebendig gespiegelte Austausch fehlt. Genauso fehlt auch die für das psychische Wohlbefinden so entscheidende Erfahrung, selbst etwas zu bewirken. Fehlen Beziehungen und aktives Bewirken, entsteht ungesunder Stress.

Was tun? Sie sprechen mit Ihrem Sohn offen über die aktuelle Situation, und das ist gut so, denn es bewahrt ihn davor, dass er sich womöglich noch Schuldgefühle über seine miese Laune macht. Doch zusätzlich braucht er Aktivitäten im Rahmen des Möglichen. Sport draußen, wenn das Wetter es zulässt, aber auch Teilhabe am Alltag im gemeinsamen Haushalt mit seinen Pflichten und Belohnungen. Ich beschrieb schon in einem früheren Beispiel, wie etwa gemeinsames Kochen eine erfüllende Alternative zur Tiefkühlpizza sein kann. Das gilt für Putzen, Einkaufen und alle anderen praktischen Alltagsverrichtungen ganz genauso und bereitet Ihren Sohn auf das eigene Leben vor – Grundlagen, die heute vielen jungen Erwachsenen fehlen.

Und dann gibt es die Belohnungen, die vor allem jetzt, wo endlich das Testen forciert wird, es auch möglich machen, in Absprache mit den Eltern von Freunden gesunde Cluster von engen Freunden zu schaffen, die einander sehen und ihre normalen Aktivitäten teilen können – wenn nicht in Schule und Sportklub, dann halt privat. Solche Belohnungen können auch helfen, Ihren Sohn zu motivieren, schulisch am Ball zu bleiben. Mit einer solchen Strategie hängt dann auch nicht mehr die ganze Hoffnung daran, dass die Pandemie bald vorüber sein möge, sondern es entsteht die Einsicht, dass, wie auch immer die äußeren Umstände sein mögen, Wege gefunden werden können, sich mit ihnen konstruktiv zu arrangieren. (Hans-Otto Thomashoff, 3.3.2020)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Linda Syllaba

Motivation kann, wenn überhaupt, nur eine gewisse Zeitlang von außen gehalten werden. Mittel- und langfristig muss sie aus uns selbst heraus kommen, das bedeutet, wir brauchen für uns selbst einen Grund, weshalb wir etwas tun. Grob gibt es da die Varianten a) zum Lustgewinn und b) zur Schmerzvermeidung. Ganz allgemein gesprochen brauchen wir etwas, das dem eigenen Leben Sinn gibt, sonst bräuchten wir ja gar nicht erst aufzustehen.

So wie es aussieht, werden wir alle von der Normalität, die wir einst kannten, ablassen müssen. Das ist hart, weil es ja einiges gab, das schön war und jetzt einfach nicht mehr möglich ist. Deshalb gleich meine erste Empfehlung: Versuchen Sie es weniger mit "Das wird schon wieder" (zumal Sie selbst nicht daran glauben) und lieber mit "Ich weiß, das ist echt schwer". Der entscheidende Meilenstein in der Verarbeitung ist Akzeptanz, ich nenne es gerne das "Anerkennen, was ist bzw. was war". Erst wenn das geschafft ist, können überhaupt neue Strategien angedacht werden. Solange wir im Widerstand bzw. im "Tal der Tränen" feststecken, ist eine Neuorientierung so gut wie unmöglich. Da bremst man sich selber ständig aus, indem man immer wieder zurückfällt.

Ihr Sohn klingt außerdem resigniert, das heißt, ihm fehlt die Perspektive und möglicherweise die Vorstellungskraft, was denn die neue "Normalität" an Freuden mit sich bringen könnte. Und natürlich, welche Ziele er anstreben könnte, die ihm sinnvoll erscheinen. Darüber könnten Sie beginnen, miteinander zu reden, zu fantasieren, zu visionieren. Dehnen Sie ruhig gemeinsam Ihre Fantasie, trauen Sie sich, mutig zu sein, es ist erst einmal nur ein Verlassen der Komfortzone im Kopf. Die andere kommt später. Ein Schulabschluss kann ja immer noch sinnvoll sein, auch wenn niemand die Zukunft kennt und weiß, was man daraus machen kann. Das war übrigens vorher auch schon so. Es sind nur die eigenen Ideen im Kopf, die den Schulabschluss überhaupt als Meilenstein für was auch immer markier(t)en.

Freunde treffen und Sport machen wird zumindest teilweise neue Formen brauchen. Was könnte das bedeuten? Was sind die Alternativen? Worum geht es dabei, und wie kann er das sonst noch bekommen? Es ändert sich vielleicht die Form, jedoch nicht zwangsläufig das Ergebnis. Und dann könnte es ja auch sein, dass sich völlig neue Dinge zeigen, die ihren eigenen Reiz haben, von dem wir momentan noch nicht wissen, dass es ihn gibt.

"Wer will, findet Wege" darf das Motto lauten. Wenn wir erkennen, dass wir (auch nur ein Fünkchen) Freiheit besitzen, Einfluss zu nehmen auf das, was passiert, geht es uns bereits besser. Das mobilisiert die Selbstwirksamkeit, es bringt uns, bildlich gesprochen, zurück in den Pilotensessel und raus aus dem Passagierstuhl, wo man sich ausgeliefert fühlt.

Also: "Wo ist meine Freiheit?", "Wie kann ich gestalterisch Einfluss nehmen?" – das sind konstruktive Fragen, die Sie und Ihren Sohn zum Nach-vorne-Schauen bringen. Auch "Was brauche ich, um motiviert zu sein und zu bleiben?".

Und abschließend noch ein Tipp: Sorgen Sie auf jeden Fall dafür, dass er jeden Tag rauskommt und dabei Frischluft und Tageslicht aufnimmt. Das ist für die Psyche von enormer Bedeutung, und auch, um mental über Wasser zu bleiben. (Linda Syllaba, 3.3.2021)

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Auch individuelles Online-Coaching ist möglich. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography