Radeln im Winter bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich.

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Innsbruck – Diese ersten frühlingshaften Tage sind die gefährlichsten. Endlich, so meint der wintergeplagte Radfahrer, hat das Warten ein Ende. Endlich sind die Straßen und Radwege wieder befahrbar. Die wärmenden Sonnenstrahlen wirken euphorisierend. Im Übermut werden Handschuhe und Gesichtsschutz daheim gelassen (übrigens sind FFP2-Masken ein echter Traum für Winterfahrten, nie wieder will ich ohne unterwegs sein bei Minusgraden). Mit Verve geht es die Straße runter ins Dorf, die Vögel zwitschern, das Haar flattert im warmen Fahrtwind. Und dann rein in die erste Kurve.

Das ist genau jener Moment, wenn einem im Bruchteil von Sekunden wieder bewusst wird: "F***, Rollsplitt!" Kaum gedacht, hat man schon alle Hände voll zu tun, das Monster-Lastenrad bei knapp 30 km/h mittels unabsichtlichem Scandinavian Flick auf die kommende Kurve vorzubereiten. Derlei Adrenalinkicks kenne ich sonst nur vom Downhillen am Nordkette-Singletrail. Mit mehr Glück als Verstand – ja, ich weiß eh, liebe Tretlager-Fangemeinde, von Zweiterem habe ich kaum was – meisterte ich die Kurve.

Wenn das Lastenrad zum Güterzug wird

Es sollte nicht die einzige brenzlige Rollsplitt-Situation bleiben dieser Tage. An der Stelle ein lieber Gruß an die Dame, die ich letztens beinah auf der Sillbrücke als Galionsfigur fürs Lastenrad "aufgegabelt" habe, weil sie meinte, der Radweg sei ein super Ort, um dort für einen Ratscher mit einem Bekannten zu verweilen. Aber sorry, wenn ich mein 40-Kilo-Monster einmal in Bewegung habe, ist der Bremsweg auf Rollsplitt mit dem eines Güterzuges vergleichbar. Ich hatte wohl mehr Angst als sie in dem Moment, da ich wusste, was hätte passieren können.

Jedenfalls habe ich mittlerweile dank Rollsplitts auf Radwegen ein wenig Routine im Lastenrad-Driften. Grund genug, beim für den Winterdienst zuständigen Innsbrucker Amt für Grünanlagen nachzufragen, wie es sich mit der Wahl der Streumitteln eigentlich so verhält. Dessen Leiter Thomas Klingler gab ebenso kompetent wie freundlich Auskunft. In Tirols Landeshauptstadt kümmert sich Klinglers Team um jene Radwege, die durch Parks und entlang des Inns führen. Das sind die Hauptrouten. Die Radwege und -streifen direkt neben Autostraßen werden vom "normalen Winterdienst" mitbetreut. Dort kommen daher hauptsächlich "auftauende Mittel" wie Streusalz oder Sole, also Salz in flüssiger Form, zum Einsatz.

Salz ist zu aggressiv, Splitt macht die Wege holprig

Dort, wo das Gartenamt zuständig ist, greift man wiederum zum Splitt. Weil, wie Klingler erklärt, Salz für die Vegetation, aber auch die Fauna, etwa die Pfoten von Hunden ebenso wie die Fische im Inn, schädliche Folgen hat. Immer wieder werden auch andere Mittel diskutiert, erklärt Klingler. Harnstoff zum Beispiel, doch auch der ist recht aggressiv und daher für diesen Zweck ungeeignet. Doch auch Splitt verursacht dem Winterdienst Probleme.

"Wir beginnen in der Regel gegen drei Uhr früh", erklärt Klingler. Wenn es nun aber schneit, bedeckt der Schnee recht schnell den gestreuten Splitt. Dann kommt wieder das Räumfahrzeug, doch das kann bei Splitt nicht bis hinunter auf die Asphaltdecke den Schnee wegschieben. So entsteht dann mit der Zeit die holprige Schnee-Eis-Bahn an winterlichen Tagen.

Patschen durch scharfe Steinchen

Aus Radlersicht ist beides suboptimal. Salz verursacht Rost und ist daher abzulehnen. Wer sein Rad liebt, würde es nie auf einer gesalzenen Straße bewegen. Man kann förmlich dabei zusehen, wie sämtliche Eisenteile wegrosten. Und die Lösung des allabendlichen Seifenlaugenbades für den Drahtesel gibt man spätestens am zweiten Abend auf.

Rollsplitt wiederum ist, wie eingangs beschrieben, eine Rutschgefahr für sich, sobald der Schnee geschmolzen ist. Außerdem kann er, je nach verwendetem Gestein, den Mänteln zusetzen. So gab es heuer laut einem ORF-Bericht in der Steiermark Probleme wegen zu scharfkantigen Kieses, der als Streumittel verwendet wurde. Die Behörde entschuldigte sich auf Nachfrage sogar dafür. Man habe heuer erstmals Basalt-Rollsplitt eingesetzt, weil der im Gegensatz zum bisher verwendeten Kalk viel weniger Staub verursacht. Allerdings hatte man nicht bedacht, dass Basaltkanten so scharf sind, dass sie Fahrradmäntel durchbohren können.

Lava als Lösung

In Fachkreisen gilt übrigens Lava als probate Streugut-Lösung. So wie auch Kies und Splitt sorgt das Vulkangestein für guten Halt und hat kaum negative Effekte auf die Umwelt. Nach dem Einsatz im Winter kann es zusammengekehrt und wiederverwendet werden. Zudem sind Lavakörner nicht scharfkantig, sondern leicht abgerundet – nicht zu sehr, somit finden auch Autos noch Halt – und können dank ihrer porösen Struktur einen Teil der Feuchtigkeit des Untergrunds aufnehmen, sodass die Rutschgefahr sinkt.

Ein Blick aus dem Fenster lässt aber ohnehin die Hoffnung aufkeimen, dass diese Diskussion bis zum kommenden Winter vertagt werden kann. Auf vielen Innsbrucker Radwegen war der Rollsplitt am Mittwoch bereits weggekehrt – danke dafür an die fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gartenamts. Zugleich ein kleiner, wohlmeinender Weckruf an den Straßendienst in Thaur, Hall in Tirol und Absam – denn hier driftete ich weiterhin unfreiwillig mit Schwung um die meisten Kurven. (Steffen Arora, 25.2.2021)