In Zeiten von Corona sind Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel bei EU-Gipfeln die Einzigen, die physisch in Brüssel auftreten.

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Nicht nur die Bürger quer durch Europa verspüren angesichts der für diese Jahreszeit sehr hohen Temperaturen Frühlingsgefühle. Auch beim einen oder bei der anderen im Kreis der 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten ist der Blick in diesen Tagen stark auf Sommer und Sonne gerichtet – und die daran geknüpften Hoffnungen der Tourismuswirtschaft.

Das Leben möge EU-weit bald wieder "normal" werden, die Grenzen unbehindert offen für jene, von denen keine unmittelbare Gefahr einer Corona-Infektion ausgeht. Eine solche politische Zielsetzung lässt sich aus der Agenda des nächsten EU-Gipfels ablesen, der am Donnerstagnachmittag beginnt.

Virtuelle Verzögerungen

Wie schon vor sechs Wochen wird es aber wieder nur ein "virtuelles Treffen der Mitglieder des Europäischen Rates" sein, sprich: Man redet, so gut es geht, per Videokonferenz aus den Hauptstädten, nicht physisch in Brüssel. Dort sitzen nur der Gastgeber, der Ständige Ratspräsident Charles Michel, und Ursula von der Leyen, Chefin der EU-Kommission.

Das hat einerseits den Nachteil, dass die Lösung komplexer Probleme der Pandemie mit allen wirtschaftlichen Folgen kaum konkret vorankommt. Für heikle Kompromisse und "Deals" der Premiers fehlen die dafür meist nötigen Gespräche in kleineren Kreisen am Rande, die vertraulichen Runden.

Andererseits kann es im virtuellen Raum gar keine formellen Beschlüsse geben, da sind die Regeln vor. Dennoch hat Michel seinen Kollegen eine ehrgeizige Themenstellung vorgegeben. Weil die EU-Institutionen und die Länder seit Wochen in der Kritik stehen, dass Europa im Vergleich mit Israel, Großbritannien und den USA weit in Verzug geraten ist, soll der Gipfel das ganze Corona-Bouquet abarbeiten.

Freies Reisen als Ziel

Wie kann die "heimische" – also die EU -interne – Produktion von Impfstoff vorangetrieben werden, durch neue Fabriken, Stärkung der Lieferketten, mehr Geld für Pharmakonzerne? Wann lässt sich ein EU-weit gültiger Impfpass umsetzen, der weitgehend unbehelligtes Reisen und Konsumieren innerhalb Europas, auch bei EU-Partnern, erlaubt?

Und wann werden endlich die Regeln bei Tests und Quarantäneregeln vereinheitlicht, damit eine Fahrt oder ein Flug zum Meer oder in die Berge oder zu Städtereisen wieder leicht möglich ist? Damit Arbeitnehmer in Grenzgebieten ohne Verzögerung an ihre Arbeitsplätze gelangen können, Warenverkehr im Binnenmarkt wieder funktioniert? Für all das wurden der Kommission bereits Arbeitsaufträge erteilt. Bei alldem sei noch "viel Arbeit im Detail nötig", hieß es Mittwoch aus Ratskreisen.

Aber es werde aus einer Erklärung deutlich werden, dass zwischen den Regierungschefs "der feste Konsens besteht", dass der Prozess zur besseren Verfügbarmachung von Impfstoffen beschleunigt werden müsse. Tags zuvor hatte eine Reuters-Meldung unter Berufung auf einen EU-Beamten für Aufregung gesorgt, wonach die britisch-schwedische Firma Astra Zeneca ihre Lieferverpflichtungen im zweiten Quartal nicht einhalten werde können. Das gleiche "Spiel" hatte es Ende Jänner bereits einmal gegeben. Der Konzern dementierte. Man werde in der Lage sein, fehlende Dosen durch Lieferung aus anderen Teilen der Welt zu ersetzen.

Präsidentin von der Leyen hatte in einem Zeitungsinterview unabhängig davon erklärt, dass es bis zum Sommer gelingen werde, 70 Prozent der EU-Bürger zu impfen. Sie berief sich darauf, dass andere Hersteller wie Pfizer/Biontech ihren Output erhöhen könnten und Johnson & Johnson dazukäme.

Risikofaktor Virenmutationen

In der Gipfelvorbereitung von Ratspräsident Michel ist die Rede davon, dass eine neue "Taskforce" unter der Führung von Industriekommissar Thierry Breton der Eigenproduktion neuen Schwung geben soll. Die Kommission macht ein paar Hundert Millionen Euro zusätzlich frei zur Förderung der Forschung. Die Zulassung von verbesserten Impfstoffen, die in Zukunft gegen mutierte Viren wirken, soll in Schnellverfahren erfolgen. All das und noch mehr werden "die Chefs" abnicken.

Bundeskanzler Sebastian Kurz wird einen eigenen Vorschlag zum Projekt eines Corona-Impfpasses einbringen, der als grüne Karte in Österreich eingeführt werden soll und ähnlich auch auf EU-Ebene strukturiert werden könnte. Er knüpft damit an einen Vorstoß des griechischen Premiers Kyriakos Mitsotakis an, der das im Jänner angeregt hatte, unterstützt von Spanien, Italien, Kroatien, den "klassischen" Sommertourismusstaaten, und Frankreich. Wer geimpft ist (oder nach einer Covid-Erkrankung immun ist), soll nach einem negativen Test binnen 48 Stunden volle Reisefreiheit haben und Restaurants, Theater und Museen besuchen können.

Vor allem aus Deutschland gibt es Vorbehalte, solange nicht geklärt ist, ob und wie Impfungen gegen mutierte Coronaviren wirken. Die Kommission drängt dennoch, dass mehrere EU-Staaten ihre strengen Grenzkontrollen überdenken. Dieses Thema hat laut Michel hohe Priorität, wenngleich der Rat wie auch die Kommission anerkennen, dass die Nationalstaaten die Letztentscheider sind, sobald es um Gesundheitsschutz und Sicherheit der eigenen Bevölkerung geht. Im März soll es wieder einen regulären EU-Gipfel geben: dann vielleicht mit ersten konkreten Beschlüssen. (Thomas Mayer, 25.2.2021)