"Vielleicht haben wir ein bisschen verlernt, über Dinge zu diskutieren. Alle wollen immer nur kontern, Gegenbeweise erbringen, zerstören, auslöschen", sagt Gottfried Gusenbauer. Er leitet das Karikaturmuseum seit 2012.

Karikaturmuseum Krems , Lukas Beck

Ausgedient und in der Hofburg: Unsere Politkrokos von 2007, wie der verstorbene Manfred Deix sie sah.

Manfred Deix, Landessammlungen NÖ

Das Deix-Bild "Frauenpower" von 1989.

Manfred Deix, Landessammlungen NÖ

Erich Sokol thematisiert die sozialliberale SP-FP-Koalition der 1980er-Jahre und die Ökobewegung.

Annemarie Sokol, Landessammlungen NÖ

Bruno Haberzettel karikiert die Leichen im Keller der türkis-schwarzen Volkspartei.

Bruno Haberzettel, Landessammlungen NÖ

Die Ausstellung Schätze aus 20 Jahren kann freilich nur ansatzweise abbilden, was sich im einzigen Satiremuseum Österreichs, dem Karikaturmuseum Krems, in zwei Jahrzehnten alles getan hat. Errichtet wurde das Museum mit den pointierten Spitzen auf dem Dach 2001 nach den Plänen von Architekt Gustav Peichl. Als Karikaturist Ironimus stellte dieser neben Platzhirsch Manfred Deix dauerhaft Werke aus. Sonderschauen gab es u. a. zu John Heartfield, Lucky Luke, Donald Duck, Nick Knatterton, EAV, Mordillo, Sokol, Bruno Haberzettel, Gerhard Haderer oder zuletzt Fix und Foxi. Die aktuelle Highlights-Schau zeigt u. a. Arbeiten der STANDARD-Karikaturisten Rudi Klein und Oliver Schopf.

Und auch 2021 hat das Museum bereits wieder viel vor: Ab März gibt es Neues zu Gerhard Haderer und einen Einblick in die internationale Sammlung Grill, im November will man dann mit einer Ausstellung zu den Illustrationen Christine Nöstlingers überraschen. Gottfried Gusenbauer, der das Museum seit 2012 leitet, will das Haus weiter öffnen. Für die Satire selbst hingegen sieht er die Offenheit aktuell schwinden.

STANDARD: Das Museum war anfangs im Volksmund als Deix-Museum bekannt. Wie schwierig war es, sich inhaltlich breiter aufzustellen?

Gusenbauer: Es war nicht einfach. Das lag daran, dass Deix so populär ist. Es war aber von Anfang an als Karikaturmuseum mit wechselnden Ausstellungen geplant. Auch Manfred Deix selbst hat das so gesehen. Wir haben ein Deix-Archiv gegründet, viele seiner Werke werden wechselnd gezeigt und auch erklärt. Oft gehen ja die historischen Kontexte verloren. Man kann uns mit dem Wilhelm-Busch-Museum in Hannover vergleichen: Eine Zentralfigur ist immer präsent, und drumherum gibt es viel Wechselndes.

STANDARD: Nach Manfred Deix ist mit Gustav "Ironimus" Peichl mittlerweile auch der zweite Gründungsvater des Hauses verstorben. Inwiefern wird er präsent bleiben?

Gusenbauer: Zunächst natürlich als Architekt des Museums. Seine Ironimus-Karikaturen werden wir anlassbedingt zeigen, aber nicht mehr dauerhaft, so wollte es auch Peichl. Wir haben das Museum stark geöffnet, zum Beispiel in Richtung Manga, Graphic Novel, in diesen Sparten sind im Gegensatz zur klassischen Karikatur Frauen stark vertreten.

STANDARD: Warum ist die Satire so männlich dominiert?

Gusenbauer: Es dürfte sich um tradiertes Verhalten handeln. Es war jahrhundertelang Männern vorbehalten, am Wirtshaustisch aufzustehen und sich politisch zu äußern. Klar ist: Seit Frauen mitmischen, sind Comics und Graphic Novels intelligenter und weniger schablonenhaft geworden.

STANDARD: Warum hatte zum Beispiel Stefanie Sargnagel als Cartoonistin noch keine Soloschau bei Ihnen?

Gusenbauer: Das kommt sicherlich, sie ist eine tolle Künstlerin. Beim Linzer Comics-Festival, das ich 2009 gegründet habe, wurden ihre Arbeiten schon zweimal präsentiert. Man muss dazusagen: Sie arbeitet hauptsächlich digital und nicht mit tradierter Handzeichnung, worauf unser Museum eher fokussiert.

STANDARD: Manfred Deix hat in seinen letzten Interviews wie auch viele seiner Kollegen die heutige Political Correctness (PC) beklagt. Wie empfinden Sie diese Kämpfe?

Gusenbauer: Political Correctness ist prinzipiell wichtig, sie hat ihre Errungenschaften. Aber wenn wir dieselben Maßstäbe auf die Karikatur anwenden, dann dürften wir wahrscheinlich die Hälfte der Arbeiten von Manfred Deix nicht mehr im Museum zeigen. Daher sagen wir immer: Man muss die Dinge im historischen Kontext sehen. Es gab zu Deix’ Hochphase erstaunlicherweise relativ wenige Leute, die sich an seinen radikalen Arbeiten gestoßen haben. Er selbst hat damals lakonisch gesagt, es sei ihm fast zu wenig Gegenwind. Junge Künstler können heute sicherlich nicht mehr so arbeiten wie er. Die Freiheit ist nicht mehr da. Man muss vielleicht immer öfter darauf hinweisen, dass Übertreibung und Überzeichnung, mit der immer ein Verstoß gegen PC einhergeht, zum Wesen der Karikatur gehören.

STANDARD: Verträgt sich die Vielstimmigkeit diverser werdender Gesellschaften schlecht mit Zuspitzung?

Gusenbauer: Nein, das glaube ich nicht. Karikatur ist nach wie vor wahnsinnig gut geeignet, Missstände aufzuzeigen. Man muss aber klarer denn je unterscheiden zwischen Hetze und Satire. Dafür gibt es eine ganz einfache Formel: Gegen wen richtet sich der Witz? Wenn es gegen Schwächere geht, ist es fast immer Hetze, wenn es gegen Mächtige geht, ist es meistens Satire.

STANDARD: Die "New York Times" druckt mittlerweile keine politische Karikatur mehr ab. Eine Darstellung Benjamin Netanjahus als Trumps Blindenhund wurde als antisemitisch empfunden. Wie sehen Sie das?

Gusenbauer: Satire ist eben nicht ganz frei. Es gibt sehr viele kulturell bedingte Grenzen, die man einhalten muss oder bewusst überschreitet. In den USA ist gerade dieses Thema extrem heikel. Man hat aber dem Zeichner nicht einmal Gelegenheit gegeben, sich zu erklären. Der radikale Schritt, gar keine politischen Karikaturen mehr zu drucken, ist schwer problematisch.

STANDARD: Zu allen Zeiten wurde die Karikatur politisch missbraucht. Ist es ein Hauptproblem, dass immer sofort ein historisch hinkender Vergleich zur Verfügung steht?

Gusenbauer: Vielleicht haben wir ein bisschen verlernt, über Dinge zu diskutieren. Alle wollen immer nur kontern, Gegenbeweise erbringen, zerstören, auslöschen. Ich glaube aber, dass die Diskursbereitschaft auch wieder offener werden wird.

STANDARD: Oft geht es um Kinderschutz. Lucky Luke hat heute einen Grashalm statt der Zigarette im Mund. Wird man den schnellsten Schützen des Westens irgendwann entwaffnen?

Gusenbauer: Lucky-Luke-Zeichner Achdé musste sich in Kanada gegen den Vorwurf wehren, er würde Western-Stereotype verwenden. Da musste er erst erklären, dass Lucky Luke als Ganzes als Satire auf den Western gemeint ist. Das Rauchen hat man ihm auch aus Marketinggründen abgewöhnt, weil sich die Gesellschaft diesbezüglich eben stark wandelt. Aber wenn Lucky Luke irgendwann nicht mehr schießen darf, da sagt sein Zeichner, dass er dann aufhören würde.

STANDARD: Einen Kampf gegen Karikaturen führt auch der Islamismus. Würden Sie im Karikaturmuseum eine Ausstellung zur attackierten Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" machen?

Gusenbauer: Wir diskutieren das in unserer Vermittlungsarbeit. Da ist das ganz wichtig. Und natürlich haben wir darüber nachgedacht, ob wir Charlie Hebdos Mohammed-Karikaturen zeigen sollen. Wollen wir aber nicht. Ein Museum hat eine ganz andere Funktion als ein Satiremagazin, denn wenn etwas so viel Aufruhr erzeugt, dass Menschen Angst um ihr Leben haben müssen und das Museum von 50 Polizisten bewacht werden muss, hat das keinen Sinn. Das fördert auch nicht den gesellschaftlichen Dialog. Es ist die Politik, die sich fragen muss, woher all dieser Hass kommt. Manfred Deix wurde auch gefragt, ob er Mohammed karikieren würde, und er hat gesagt: "Sicher nicht, ich bin ja nicht lebensmüde." Das ist vielleicht keine heldenhafte, aber eine ehrliche Antwort.

(INTERVIEW: Stefan Weiss, 25.2.2021)