Mit dem Atomchip der TU Wien lassen sich verschränkte Zwillingsatome exakt in jene Richtung schicken, die von der elektromagnetischen Falle auf dem Chip vorgegeben wird.

Foto: TU Wien

Die Beschäftigung mit quantenphysikalischen Phänomenen ist nicht nur Grundlagenforschung – im Gegenteil: Der Quantenphysiker Rainer Blatt, Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW, sieht bereits das "Jahrhundert der Quantentechnologie" heraufdämmern, das fundamentale Veränderungen mit sich bringen wird. Quantenkrypografie oder Quantencomputer, die auf den teilweise irrational anmutenden Quanteneffekten basieren, lassen erahnen, wo diese Reise noch hinführen könnte.

Einer der bekanntesten und merkwürdigsten Quanteneffekte ist die Verschränkung, bei der sich über beliebige Distanzen miteinander verbundene Teilchen nicht mehr als unabhängige "Individuen" betrachten lassen – sie können nur noch gemeinsam beschrieben werden. Verschränkte Photonen kann man schon seit Jahren herstellen. Diese Lichtteilchen-Paare bewegen sich zwar in völlig unterschiedliche Richtungen und gehören trotzdem zusammen.

Wiener Physikern ist es nun aber gemeinsam mit Kollegen vom am Forschungzentrum Jülich gelungen, eine Quelle für verschränkte Atome herzustellen – und zwar nicht nur auf zufällige, sondern auf genau definierte Weise. Grundlage dieses Erfolgs sind ultrakalter Atomwolken in elektromagnetischen Fallen auf eine sogenannten Atomchip.

Wie man Photonen verschränkt

"Quantenverschränkung ist eines der wesentlichen Elemente der Quantenphysik", sagt Jörg Schmiedmayer vom Vienna Center for Quantum Science (VCQ) am Atominstitut der TU Wien. "Wenn Teilchen miteinander verschränkt sind, dann kann es passieren, dass man zwar alles über das Gesamtsystem weiß, was es überhaupt zu wissen gibt, aber über ein bestimmtes Teilchen trotzdem rein gar nichts aussagen kann. Die Frage nach dem Zustand eines bestimmten Teilchens ergibt keinen Sinn, nur der Gesamtzustand ist festgelegt."

Es gibt unterschiedliche Methoden, quantenverschränkte Teilchen herzustellen. So kann man etwa mit speziellen Kristallen Paare verschränkter Photonen erzeugen: Ein Photon mit hoher Energie wird vom Kristall in zwei Photonen niedrigerer Energie umgewandelt – das bezeichnet man als "Down Conversion". Damit lassen sich rasch und einfach große Zahlen verschränkter Photonenpaare produzieren.

Atome sind schwer zu verschränken

Atome zu verschränken ist allerdings viel schwieriger. Man kann einzelne Atome mit Hilfe von komplizierten Laser-Operationen verschränken – dann bekommt man allerdings immer nur ein einziges Atompaar. Oder man lässt den Zufall regieren, um Quantenverschränkungen zu erzeugen: Wenn zwei Teilchen miteinander auf eine passende Weise wechselwirken, können sie danach ebenfalls verschränkt sein. Man kann Moleküle zerbrechen, sodass miteinander verschränkte Bruchteile davonfliegen. Doch diese Methoden sind nicht kontrollierbar. "In diesem Fall bewegen sich die Teilchen in zufällige Richtungen. Wenn man Experimente durchführt, möchte man aber genau bestimmen können, wohin sich die Atome bewegen", sagt Schmiedmayer.

Kontrollierte verschränkte Atompaare konnte man nun an der TU Wien mit einem neuartigen Trick herstellen: Man erzeugt eine Wolke aus bis zu 2.000 ultrakalten Atomen, die an einem winzigen Chip von elektromagnetischen Kräften festgehalten werden. "Wir manipulieren diese Atome so, dass sie nicht den Zustand mit der niedrigsten möglichen Energie annehmen, sondern den nächsthöheren Energiezustand", sagt Filippo Borselli, Koautor der in den "Physical Review Letters" erschienenen Studie. Von diesem angeregten Zustand kehren die Atome dann spontan in den Grundzustand mit niedrigster Energie zurück.

Paarweiser Wechsel

Allerdings ist die elektromagnetische Falle so konstruiert, dass diese Rückkehr in den Grundzustand für ein einzelnes Atom physikalisch nicht möglich ist – das würde die Impulserhaltung und Quantensymmetrien verletzen. Die Atome können daher nur paarweise in den Grundzustand wechseln und danach in entgegengesetzte Richtungen davonfliegen, sodass ihr Gesamtimpuls weiterhin null ist. So entstehen verschränkte Zwillingsatome, die sich exakt in jene Richtung bewegen, die von der elektromagnetischen Falle auf dem Chip vorgegeben wird.

Die Falle besteht aus zwei langgezogenen, parallelen Bereichen. Die Zwillingsatome können im linken oder im rechten Bereich entstanden sein, oder – wie es die Quantenphysik eben auch erlaubt – in beiden. "Es ist wie beim wohlbekannten Doppelspaltexperiment, bei dem man ein Teilchen auf eine Wand mit zwei Schlitzen schießt", sagt Borselli. "Das Teilchen kann gleichzeitig sowohl durch den linken als auch durch den rechten Schlitz gelangen, dahinter überlagert es sich mit sich selbst, und dadurch entstehen Wellenmuster, die man messen kann."

Wellenüberlagerung als Beweis

Diese Wellenüberlagerung lässt sich auch zum Nachweis der verschränkten Zwillingsatome nutzen: Nur wenn man das Gesamtsystem misst, also beide Atome gleichzeitig, werden die für Quantenphänomene typischen wellenartigen Überlagerungen nachgewiesen. Misst man nur ein einzelnes Teilchen, verschwinden diese vollständig. Mit dem Nachweis, dass sich mit der Methode zuverlässig verschränkte Zwillingsatome herstellen lassen, wollen die Forscher nun weitere Quantenexperimente mit diesen Atompaaren durchgeführt werden – ähnlich wie sie bereits mit Photonenpaaren möglich waren. (red, 25.2.2021)