Innovativ und genussvoll: das "Symposion"-Projekt der freien Operngruppe Netzzeit.

Foto: Claudia Prieler

Der gesamte Kulturbetrieb wartet auf einen Wink der Gesundheitspolitik. Und als dessen kleiner, interessanter Teil hofft auch die freie Wiener Opernszene auf ein Wiedererwachen des Spielbetriebs. Kürzlich bescherte ihr allerdings die Wiener Theaterjury eine Extraportion Aufregung. In ihrem Gutachten, mit dem sie die vierjährige Konzeptförderung (ab 2022) begründet, bedachte sie zwar das Sirene-Operntheater mit 290.000 Euro jährlich und die Musiktheatertage Wien mit 320.000.

Für etablierte Gruppen allerdings setzte es verbale Rüffel: Von "Niedrigen Standards" oder "besorgniserregender Tendenz zur Stagnation" war die Rede wie auch vom "Mangel an innovativen Ansätzen zur künstlerischen Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der Kunstform". Auch würde "Reflexion zu Entwicklungen der Gegenwart" fehlen.

Gattung öffnen

Ermunterungen durch Ansprüche stellende Instanzen haben ihren berechtigten Platz. Es schadet nicht, daran erinnert zu werden, dass die Historie des Musiktheaters auch eine der Dekonstruktion von Konvention war. Auch die Integration von Performance-Elementen oder der Bruch von linearer Erzählkunst gehörte zur Erneuerung. Nicht zu reden von kompositorischen Ideen, der eigentlichen Quelle von Innovation mittels neuer Werke, die natürlich auch den Werkbegriff als solchen infrage stellten. Sich daran zu orientieren wirkt in jedem Genre tendenziell inspirierend.

Der dornige Blumenstrauß aus Jury-Vorwürfen wird denn auch selbst von den zwei Geförderten nicht als irrelevant abgetan. Thomas Desi und Georg Steker, Leiter der Musiktheatertage, diagnostizieren: "Wenn man sich auf die traditionellen Gattungsbedingungen beschränkt, limitiert man die Innovationsmöglichkeiten."

Lange keine Veränderung

Insofern trachten beide danach, die Oper "als Gattungsform zu öffnen", und sprechen lieber "von neuem Musiktheater" und dessen "veränderten Produktionsprozessen."

Kristine Tornquist vom Sirene-Operntheater nennt den Stagnationsvorwurf der Jury allerdings "eine leidenschaftliche, jedoch unglückliche Formulierung". Ihr Partner Jury Everhartz findet zwar, dass es in Wien "lange keine Veränderungen in der Musiktheaterszene gegeben hat, was ich auch als politische Zustimmung zu einer bis zu 30 Jahre umfassenden kontinuierlichen Arbeit sehen möchte".

Dank dieser langfristigen Unterstützung konnten sich immerhin aber Strukturen entwickeln, die sehr leistungsfähig sind."

Neue Spielorte

Auch sei "Innovation nur ein Kriterium", findet Tornquist, Qualität sei der andere wesentliche Faktor, und Everhartz ergänzt: Es sei wichtig, vor allem "inhaltlich zu denken. Worüber spricht man? Welche Geschichte erzähle ich? Wir wollen dies im Auge behalten und keinen Zirkus und auch keine Freakshow produzieren."

Jene Gruppen, die leer ausgingen? Bezüglich niedriger Standards fühlt sich Walter Kobera von der Neuen Oper Wien "eigentlich nicht angesprochen". Der Dirigent verweist bezüglich der Qualität auf die Kooperationen mit den Bregenzer Festspielen oder etwa dem Teatro Real Madrid. Und Innovation erlebe die Gruppe schließlich "im Ausloten neuer Spielorte, auch in szenischen und musikalischen Ausdrucksformen".

Dies gelte, so Kobera, etwa für die Einbeziehung des Multimedialen, sowohl im Visuellen als auch im Akustischen. "Bei der letzten Produktion von Les Rois Mages kam etwa eine eigens entwickelte kinetische Lichtbühne zum Einsatz." Innovation ist eben auch ein sehr dehnbarer Begriff.

Hilfreiche Sicherheit

Auch Gerhard Dienstbier von der Taschenoper, die keine Vierjahresförderung bekam, verweist auf Neuheiten der letzten Jahre: "Wir vergeben regelmäßig Kompositionsaufträge", zuletzt u. a. an Wolfgang Mitterer, Martin Brandlmayr und Maria Gstättner. Jede Neuproduktion "ist eine Uraufführung und schafft zugleich ein weiteres zeitgenössisches Repertoire im Bereich der Kinderoper". Auch international fühlt sich die Taschenoper akzeptiert und verweist auf Projekte an der Hamburgischen und der Berliner Staatsoper oder an der Elbphilharmonie (Partnergruppe: La Fura dels Baus). Ohne Planungssicherheit und die bisherigen Subventionen der Stadt Wien wäre das nicht möglich gewesen.

Es wird Lösungen geben

Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler will zwar den Förderempfehlungen der Jury folgen; sie seien gut argumentiert. Gleichzeitig möchte sie "die Aufgeregtheit aus der Diskussion" nehmen und versichert in Richtung der um die Vierjahresförderung umgefallenen Gruppen: "Wir lassen sie nicht fallen. Wir finden sicher sehr gute andere Lösungen." So gibt es durchaus die Möglichkeit, Ein- und Zweijahresförderungen zu ermöglichen.

Gleichwohl geht es ihr aber darum, neuen Gruppen eine Chance zu geben. Strukturell sei darüber hinaus das Fehlen etwa von Proberäumen ein anzugehendes Thema. "Vielleicht könnte man doch darüber nachdenken, Strukturen zu schaffen, die auch gemeinsam genutzt werden können. Das muss nicht einmal innerhalb der vielleicht etwas überlebten Genregrenzen von Musiktheater oder Tanz sein", meint dazu Everhartz vom Sirene-Theater.

Ein Abschied

Die Gruppe Netzzeit betrifft die heikle, aber immer notwendige Debatte um Innovation und deren Kopplung an die Förderwürdigkeit nicht mehr. Nora und Michael Scheidl, die u. a. mit dem Projekt Symposion (Partner: Klangforum Wien) international reüssierten (auch bei den Salzburger Festspielen), verabschieden sich nach drei Jahrzehnten im Juni und November mit dem Festival out of control. Netzzeit hat übrigens gar keinen Förderantrag gestellt und wurde von der Jury deshalb auch weder kritisiert noch noch als nicht förderungswürdig eingestuft. Zwischendurch schien es diesbezüglich eine gewisse Verwirrung zu geben. (Ljubiša Tošić, 25.2.2021)