Das Parlamentsgebäude in Canberra.

Foto: EPA / Lukas Coch

"Eigentlich sollte das Parlament das sicherste Gebäude in ganz Australien sein", sagte Brittany Higgins in einer Stellungnahme am vergangenen Freitag. Doch für die junge Frau dürfte es das nicht gewesen sein: Die ehemalige Mitarbeiterin von Australiens konservativer Liberal Party hatte Mitte Februar publik gemacht, im März 2019 im australischen Parlamentsgebäude vergewaltigt worden zu sein.

Übergriff im Büro der Verteidigungsministerin

Higgins hatte damals gerade eine Stelle als Beraterin von Verteidigungsministerin Linda Reynolds angetreten. Ein älterer Kollege, so die 26-jährige, habe sie nach einer Feier nachts ins Büro der Verteidigungsministerin gebracht und dort vergewaltigt. Higgins wurde am nächsten Morgen von Sicherheitskräften entdeckt, und es wurde eine Untersuchung eingeleitet – wegen unerlaubter nächtlicher Anwesenheit im Parlament. Der Mann, den Higgins der Vergewaltigung beschuldigt, wurde daraufhin wegen des unerlaubten nächtlichen Betretens des Gebäudes entlassen.

Nachdem Higgins sich ihren Vorgesetzten anvertraut hatte, sprachen diese ihr ihre Unterstützung aus, sollte sie sich an die Polizei wenden wollen. Die junge Frau meldete sich tatsächlich bei den Behörden, bat diese im April 2019 dann aber, den Fall nicht weiter zu verfolgen – aus Angst, ihre Stelle zu verlieren. Sie sei damals erst seit vier Wochen für die regierende Liberal Party tätig gewesen und habe nicht den Eindruck gehabt, dass sie während eines Gerichtsverfahrens tatsächlich unterstützt werden würde, erklärte sie nun. Anfang der Woche zeigte sie den Vorfall nun doch offiziell an.

Weitere Vorwürfe

Nachdem Higgins mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen war, meldeten sich im Laufe dieser Woche drei weitere Frauen zu Wort. Sie werfen demselben, nicht namentlich identifizierten Mann ebenfalls sexuelle Übergriffe vor, die von Vergewaltigung bis zu ungewolltem Berühren reichen. Er sei bei all seinen Übergriffen nach demselben Muster vorgegangen, so eine der Betroffenen.

Die Liberal Party unter Premier Scott Morrison räumte Verfehlungen in Higgins' Fall ein – unter anderem, dass das Gespräch mit ihren Vorgesetzten in demselben Raum stattfand, in dem sich ihr zufolge auch die Vergewaltigung zugetragen hatte. Der Premier sowie der zuständige Minister sollen zudem erst Tage vor Higgins' Gang an die Öffentlichkeit über den Vorfall informiert worden sein.

Fünf Untersuchungen veranlasst

Morrison veranlasste gleich fünf verschiedene Untersuchungen: eine polizeiliche sowie eine parlamentsinterne Untersuchung des konkreten Falls, eine Untersuchung zu Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene sowie gleich zwei zur Arbeitsatmosphäre im Parlament. Diese wird seit Jahren kritisiert: Politikerinnen und Mitarbeiterinnen beklagen weit verbreitete Geringschätzung und Diskriminierung von Frauen im australischen Parlament. Higgins selbst kündigte wenige Monate nach dem Vorfall ihre Stelle. (rio, 25.2.2021)