Graf: "Es gibt ausreichend Beratungsmöglichkeiten. Die Frage ist viel mehr: Welche Beratung brauchen die Betroffenen?"

Foto: Getty Images/iStockphoto / KatarzynaBialasiewicz

Elke Graf (geb. 1968) ist seit 2005 Leiterin des pro:woman Ambulatoriums in Wien. 2015 erhielt sie den Wiener Frauenpreis in der Kategorie Kategorie "Selbstbestimmung über den eigenen Körper".

Foto: Stadt Wien

Wer ungewollt Schwanger ist, steht oft unter Druck. Die Zeit, sich zu entscheiden, ist begrenzt, dennoch will wohl jede Frau, die sich nicht sicher ist, ob sie eine ungewollte oder ungeplante Schwangerschaft abbrechen oder austragen will, diese Entscheidung wohl überlegt treffen. Und sie will ihre Möglichkeiten vielleicht auch in Rahmen eines guten Beratungsgespräches durchbesprechen. Angebote gibt es in dazu Österreich viele, auf den ersten Blick ist aber nicht ganz klar, wie ob diese Beratungen für Frauen auch immer ergebnisoffen verlaufen. "Ergebnisoffen" nennen sich praktisch alle Beratungsangebote. Was das aber wirklich bedeutet, erklärt Elke Graf, Geschäftsführerin des Pro-Woman-Ambulatoriums für Sexualmedizin und Schwangerenhilfe. Sie hat ein Beratungsgespräch (hier nachzulesen) eines Anbieters für Beratungen analysiert.

STANDARD: Was ist Ihr erster Eindruck von diesem Beratungsgespräch?

Graf: Aus meiner Sicht ist diese Beratung keinesfalls eine neutrale Beratung und damit inakzeptabel. Die Person agiert offenbar freundlich, verständnisvoll, wertschätzend, die Beeinflussung passiert somit subtil. Aber sie versucht die Schwangere ganz klar zu beeinflussen, da sie ihr eigenes Weltbild ins Gespräch einbringt. Das hat in einer Konfliktberatung nichts verloren.

STANDARD: Die Beraterin erzählt begeistert vom Muttersein und den Phasen der Schwangerschaft, sie betont aber auch, dass die Entscheidung der Schwangeren die richtige sein wird.

Graf: Das ist ja das Subtile an einer solchen Form der Beratung, die hier beschrieben wird. Es klingt nach "Natürlich ist das Ihre eigene Entscheidung", aber wenn ich vorab versuche, das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken, ist das nicht mehr neutral. In einer qualitätsvollen Konfliktberatung geht es darum, gemeinsam mit der Klientin ihre Ressourcen zu erforschen. Jene Ressourcen aufzudecken, die sie im Moment vielleicht nicht sehen kann. Und dabei geht es nur um die Klientin, niemals um mich als Beraterin. Es ist ganz zentral, im Weltbild der Klientin zu bleiben. Gemeinsam erkennt man die Ressourcen, die eine Frau zur Verfügung hat, um unbeeinflusst zu einer Entscheidung zu kommen. Diese Entscheidung ist dann auch die richtige.

Elke Graf (geb. 1968) ist seit 2005 Leiterin des Pro-Woman-Ambulatoriums in Wien. 2015 erhielt sie den Wiener Frauenpreis in der Kategorie "Selbstbestimmung über den eigenen Körper".
Foto: Stadt Wien

STANDARD: Was macht eine Konfliktsituation in der Beratung aus?

Graf: Es gibt oft Ambivalenzen zwischen einem Kopf- und einem Bauchgefühl, die Gedanken kreisen. Dazu kommen Meinungen anderer Personen. Durch entsprechende Fragestellungen versuchen wir die Gedankenspirale zu durchbrechen, wir schauen uns an, wie es der Frau mit oder ohne Kind gehen würde. Wir unterstützen sie also in ihrer selbstbestimmten Entscheidungsfindung. Das macht die Beratungsleistung aus, wenn man sein Handwerk gelernt hat.

STANDARD: Immer wieder kritisieren Lobby-Gruppen, dass es in Österreich zu wenig Beratungsstellen für (ungewollt) Schwangere gebe.

Graf: Es gibt ausreichend Beratungsmöglichkeiten. Die Frage ist viel mehr: Welche Beratung brauchen die Betroffenen? Wir beschäftigen uns seit über vierzig Jahren mit dem Schwangerschaftsabbruch und wissen aus Erfahrung: Frauen brauchen sehr viel Information in einer solchen Situation. Aber sie brauchen keine Beratung, wie sie in diesem Text beschrieben wird. Das Argument, es bräuchte mehr Beratung, zielt meist darauf ab, die Frau so lange zu beraten, bis sie sich für das Kind entscheidet. Was es aber braucht, ist eine neutrale Beratung – und sie muss freiwillig sein. Glücklicherweise haben wir in Österreich keine Zwangsberatung und keine Wartefrist so wie in Deutschland. Das entmündigt Frauen. Druck und Zwang haben in dieser Situation nichts verloren. (Brigitte Theißl, 26.2.2021)