Gewerbsmäßigen schweren Betrug wirft die Staatsanwaltschaft einer 19-jährigen Wienerin vor. Die Teenagerin brauchte Geld, nachdem ihre familiäre Situation eskaliert war.

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Wien – Versicherungsvertreter rangieren bei Umfragen rufmäßig im Bereich von Gebrauchtwagenhändlern und Journalisten – ihr Image ist also ausbaufähig. Dabei ist das Misstrauen gegenüber der Kundenorientierung von Assekuranzen gar nicht immer gerechtfertigt. Es gibt durchaus solche mit prompter Abwicklung – was Vanessa D. a) auf eine schlechte Idee und b) vor Richterin Alexandra Skrdla gebracht hat.

Die 19-Jährige soll laut Anklage zwischen 2018 und August 2020 mehrmals bei der Polizei den Diebstahl ihres jeweiligen Mobiltelefons angezeigt haben und damit bei einer Handyversicherung ein neues Gerät bekommen haben. So lautet zumindest die Anklage, der Verteidiger Volkert Sackmann allerdings gleich widerspricht: Nur in den drei Fällen im Jahr 2020 habe es einen Versicherungsbetrug gegeben – davor habe D. als Minderjährige gar keine Versicherung abschließen können.

Diebstahls- statt Verlustanzeigen

Die junge Frau scheint Pech mit ihren Handys zu haben, wie sie der Richterin erzählt. "Ich habe sie 2018 und 2019 immer wieder verloren", sagt sie. In jedem Fall erstattete sie Diebstahlsanzeigen gegen unbekannte Täter. "Normalerweise macht man was, wenn einem so was passiert?", fragt Skrdla. D. weiß es offenbar nicht, zumindest gibt sie keine Antwort. "Eine Verlustmeldung."

Als D. volljährig wurde, schloss sie in einem Geschäft eine Handyversicherung ab. Wieder verlor sie ihr Kommunikationsmittel, gab eine falsche Diebstahlsanzeige auf, reichte diese ein – und bekam prompt ein Ersatztelefon. "Als ich gesehen habe, wie einfach das geht, habe ich mir gedacht, dass man so Geld machen kann."

Dahinter steckt aber eigentlich eine tragische Geschichte, wie Verteidiger Sackmann verrät: "Sie wurde vom Unfall des Bruders im Jahr 2018 aus der Bahn geworfen, geriet auf die schiefe Bahn, hat die Schule geschmissen, es gab familiäre Probleme. Jetzt ist sie auf einem guten Weg", sagt er.

Bruder wurde Pflegefall

Die Richterin lässt sich die Situation von D. genauer schildern. Die unbescholtene Angeklagte machte eine Ausbildung, als ihr Bruder von einem Auto angefahren und lebensgefährlich verletzt wurde. "Das Spital wollte ihn abdrehen", behauptet sie, also ließ sich ihre alleinerziehende, von Sozialhilfe lebende Mutter im Krankenhaus für die Pflege des Sohnes einschulen, um ihn daheim betreuen zu können. D. musste sich um die drei anderen Geschwister kümmern, "in der Schule wurde ich immer schlechter".

Als sie Anfang vergangenen Jahres 18 wurde, kam es zu einem Streit mit der Mutter, die sie aus der Wohnung warf. "Ich bin von daheim ausgezogen und habe gesehen, wie schwer es ist. Ohne Ausbildung, ohne Job, ohne Wohnung." Sie kam bei Freundinnen unter, arbeitete als Verkäuferin – kurz, denn es kam der Lockdown, und sie wurde arbeitslos. "Ich brauchte einfach nur Geld", sagt die Angeklagte zum Motiv für ihre Delikte. "Ich hatte gar kein Einkommen und habe die neuen Handys dann auf Willhaben verkauft." Im vergangenen Herbst starb ihr Bruder, D. hat wieder einen Job in Aussicht.

Richterin verbessert Anklage

Richterin Skrdla nimmt einige rechtliche Änderungen an der Anklage vor. Sie sieht keinen schweren Betrug, da die Diebstahlsanzeigen keine "falsche oder verfälschte Urkunde" seien, wie es der Paragraf vorsieht. Tatsächlich handle es sich um eine "Lugurkunde" – der hübsche juristische Begriff besagt, dass die Anzeigenbestätigung echt ist, aber auf falschen Angaben beruht.

Da im Endeffekt nur die drei Fälle von 2020 übrig bleiben, fällt auch der Schaden geringer als 3.000 Euro aus, es bleibt also nur gewerbsmäßiger Betrug mit einer maximalen Strafe von drei Jahren übrig. Da D. unbescholten, geständig und jünger als 21 ist, bietet die Richterin ihr eine Diversion mit einer Probezeit von zwei Jahren an. Die Angeklagte akzeptiert, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig.

"Ich hoffe, ich sehe Sie hier nie wieder", sagt Skrdla am Ende. "Das hoffe ich auch", antwortet D., ehe sie sich hastig korrigiert. "Das wird nicht mehr passieren", bessert sie sich aus. "Das wollte ich hören", ist die Richterin zufrieden. (Michael Möseneder, 26.2.2021)