Foto: imago images/Eyepix Group

PRO: Privilegien? Grundrechte!

von Lisa Nimmervoll

Sollen Geimpfte, Genesene und Getestete "Privilegien" erhalten, etwa in Form eines "grünen Passes" zum Reisen, wie Kanzler Sebastian Kurz auf EU-Ebene vorschlägt und notfalls national umsetzen will? Ja, klar! Handelt es sich dabei doch nicht um vermeintlich ungerechte Vorteile für eine Gruppe von Menschen, sondern um die Rückgabe von Grundrechten, die uns der Staat in der Pandemie nur gut begründet und auf Zeit abnehmen durfte, weil der kollektive Gesundheitsschutz zu Recht im Vordergrund stand.

Wenn es nun endlich wirksame Waffen im Kampf gegen das Coronavirus gibt, dann entfällt diese Geschäftsgrundlage. Spätestens dann, wenn von mir keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, ich also keine anderen Menschen gefährde, darf der Staat meine Grundrechte nicht mehr einschränken.

Dabei geht es nicht nur ums Reisen, sondern um all die vielen Freiheitsrechte, deren Verlust wir als Gesellschaft – mit einigen irrlichternden Ausnahmen wie bei allem – in Kauf genommen haben. In dem Moment, wo für alle genug Impfstoff da ist, müssen die, die sich impfen lassen – und Impfen ist nie nur Eigennutz, sondern immer auch ein solidarischer Akt, der andere, vor allem die, die nicht geimpft werden können, schützt –, etwas von der alten Normalität zurückerhalten. Sich selbst kann jeder und jede nach Lust und Laune einschränken. Es gibt keine Impfpflicht. Auch diese Freiheit schenkt der liberale Rechtsstaat. (Lisa Nimmervoll, 25.2.2021)

KONTRA: Die Gekennzeichneten

von Karin Bauer

Geimpfte und Genesene dürfen, was anderen verboten ist. Alles klar und kein Problem? So verständlich das individuelle Bestreben auch ist, sich möglichst schnell wieder Lebensfreiheit zu verschaffen, so problematisch ist es auch. Es geht nicht um eine Lenkerberechtigung für ein Kraftfahrzeug, sondern um ein rigides Belohnungssystem für gesundheitliches und soziales Wohlverhalten. Die Geschichte der Pandemiebekämpfung ist auch eine der Disziplinierung. Wäre die nächste Eskalationsstufe nicht sorgfältig zu hinterfragen, statt ohne Konsequenzenanalyse eine Kennzeichnung als Freibrief zu bejubeln? Leicht für alle immer einsehbar und abrufbar müsste ein solches Zertifikat ja sein. Quasi ein Stempel.

Wohin führen dann Korridore für Europäerinnen und Europäer mit ihren Impfpässen – in traumhafte Urlaubsdestinationen, in denen dann noch gar nicht alle die Chance auf Impfen hatten? Welches Bild der Gesellschaft wird eine solche gut einsehbare Kennzeichnung von Menschen ergeben?

Die Frage nach Privilegien für Geimpfte ist schwierig und muss das Parlament ausführlich beschäftigen. Ob wir das wirklich so wollen, kann keiner Kommission überlassen und nicht an Epidemiologen delegiert werden. Das ist eine notwendige gesellschaftliche Debatte. Es reicht auch nicht, wenn wirtschaftliche Notwendigkeiten vorgerechnet werden. (Karin Bauer, 25.2.2021)