Bildungsexperte Karl Heinz Gruber erteilt Gesundheitsminister Rudolf Anschober im Gastkommentar Covid-19-Lektionen.

Karikatur: Michael Murschetz

Gesundheitsminister Rudolf Anschober wäre gut beraten, sich einiges von dem zu vergegenwärtigen, was er im Rahmen seiner Lehrerbildung vor 30 Jahren gelernt hat. Wie ein Lehrer, der mit einer Klasse missmutiger Jugendlicher nach den Semesterferien vor der tristen Aussicht steht, dass es bis Ostern eine Durststrecke ohne schulfreie Feiertage, dafür aber mit einer Menge Tests und Schularbeiten gibt, soll er die pandemiemüde Bevölkerung noch für etliche Monate von der Sinnhaftigkeit der Covid-19-Schutzmaßnahmen und der Notwendigkeit ihrer strikten Befolgung überzeugen. Als gesundheitspolitischem Oberlehrer der Nation steht ihm dafür dreierlei zur Verfügung: Aufklärung ("Wissensvermittlung"), Motivation ("Ermutigung durch positive Affekte") und Sanktionen ("ernste Konsequenzen").

Wenig Aufklärung

Die bisherigen gemeinsamen rituellen Fernsehauftritte von Kanzler, Vizekanzler, Innen- und Gesundheitsminister dürften eher wenig Aufklärung bewirkt, sondern bei vielen Österreicherinnen und Österreichern das Bedürfnis ausgelöst haben, nachzuschauen, ob sich im Kühlschrank etwas Genüssliches finden lässt. Dem Gesundheitsminister ist anscheinend klar geworden, dass seine pastoral-behutsamen Appelle und Ankündigungen, dieses oder jenes "sehr, sehr ernst zu nehmen", zu wenig Überzeugungskraft haben. Er hat die Initiative "Österreich impft" gestartet, aber auch das mit viel zu wenig Pauken und Trompeten. Es steht außer Zweifel, dass dieses Team medizinischer Experten befähigt ist, State-of-the-Art-Wissen über die Pandemie, die Schutzmaßnahmen und die Impfung glaubwürdig unter die Leute zu bringen. Als Ex-Lehrer sollte Minister Anschober aber wissen, dass es nicht genügt, neuen "Lehrstoff" einfach über eine Website anzubieten: Noch fehlt eine "didaktische" Öffentlichkeitsarbeit, die alle kreativen Register zieht. Wie?

In Zeiten wie diesen fällt es nicht leicht, "to look at the bright side of life", aber wie wäre es, sich am nationalen englischen Gesundheitsdienst NHS ein Beispiel zu nehmen und Promis wie Elton John und Michael Caine als Spaß- und Stimmungsmacher für die gute Sache zu gewinnen? (Sir Elton für die Youngsters, Sir Michael für die Oldies?) Wer könnte von Anschober als Influencer für Maskentragen und Impfen eingespannt werden? Dominic Thiem für die Sportsfreunde, Marianne Mendt für Nostalgische, Elfriede Jelinek für Bildungsbürgerinnen, Otto Schenk für jene, die sich noch an Schwarz-Weiß-Fernsehen erinnern? Die Österreich-impft-Taskforce könnte, um etwas Farbe in die Kampagne zu bringen, jenen Epidemiologen kooptieren, der seit Monaten bei seinen Fernsehauftritten mit exotisch bunten Hemden auffällt, die in den 1950er-Jahren als "Buschhemden" in Mode waren.

Wut und Frust

Angeblich nehmen in der Bevölkerung die Impfskepsis und die Maskenaversion ab, aber wie rezente Demonstrationen zeigen, gibt es nach wie vor viele Menschen, in denen eine Wut brodelt, die aus Frust über eingeschränkte Mobilität, verhinderten Konsum, untersagte Geselligkeit sowie aus sorgloser Ignoranz resultiert. Hier braucht es eine andere Strategie. Minister Anschober könnte zu "Shock and Awe"-Mitteln greifen und versuchen, die österreichischen Massenmedien dafür zu gewinnen, wie CNN und die BBC zur Primetime einzelne herzzerreißende Covid-19-Schicksale zu präsentieren: weinende Angehörige von in Intensivstationen einsam und abschiedslos verstorbenen Opas; junge Frauen mit maroden, Covid-19-geschwächten Lungen; sportliche Familienväter, die sich nach ihrer Corona-Erkrankung erbärmlich abmühen, wenigstens ein Stockwerk zu ersteigen?

Wie ernst ist es den Impf- und Maskengegnern mit ihren Protesten? Wären sie, wenn es in Österreich ausreichend Impfstoff gibt, sodass sich jedermann impfen lassen kann, bereit, eine "Quasi-Patientenverfügung" wie die folgende an ihre Krankenversicherung zu schicken: "Im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte und nach reiflicher Überlegung lehne ich eine Covid-19-Impfung entschieden ab und erkläre nachdrücklich, dass ich selbst im Falle einer schweren Corona-Erkrankung auf die Behandlung in einem Spital und erst recht in einer Intensivstation verzichte." Wirklich? Ein sichtlich erschöpfter Chefarzt einer überfüllten Intensivstation eines Londoner Spitals meinte vor kurzem in einem BBC-Interview: "Menschen, die keine Masken tragen und Social Distancing nicht einhalten, haben Blut an den Händen." Er war wohl zu müde, um hinzuzufügen, dass das Blut an den Händen von Masken- und Impfverweigerern ihr eigenes sein könnte. (Karl Heinz Gruber, 26.2.2021)