Das Jahr 2020 war, neben dem Jahr von Corona, auch das Jahr der Daten: Selten waren Zahlen in den Medien so präsent wie in der Coronavirus-Krise. Die Zeit im Bild eröffnet regelmäßig mit aktuellen Daten zur epidemiologischen Lage, DER STANDARD informiert seine Leser täglich per Pushnachricht über neue Infektionszahlen. Daten haben plötzlich so viel Nachrichtenwert wie noch nie – und sie beeinflussen unsere täglichen Entscheidungen. Schicken wir unsere Kinder in die Schule? Besuchen wir die Großeltern? In welchem Land verbringe ich meinen Urlaub? Viele schauen zunächst auf die aktuellen Zahlen.

Wer sich in den vergangenen Monaten über die internationale Corona-Lage informiert hat, hat dabei ziemlich wahrscheinlich auf Daten der Johns Hopkins University (JHU) zurückgegriffen. Seit Anfang 2020 betreibt die US-amerikanische Universität ein Dashboard, in dem in Echtzeit Daten aus aller Welt zusammenfließen, viele andere Übersichtsseiten werden aus den JHU-Daten gespeist. Das Time Magazine hat das Dashboard kürzlich zu einer der besten Erfindungen des Jahres 2020 gekürt.

Am 19. 2. diskutierten Marko Berković, Beth Blauer, Matthias Reiter-Pázmándy und Barbara Wittmann bei den vom STANDARD veranstalteten Dialogues For Future zum Thema "Is data enthusiasm here to stay? New trends shaping collaboration".
DER STANDARD

"Ich habe meine ganze berufliche Laufbahn auf den Moment gewartet, in dem Daten endlich im Zentrum von Entscheidungen stehen", sagt Beth Blauer, Leiterin der Centers for Civic Impact an der Johns Hopkins University. Mit ihrer Institution versucht sie, öffentlichen Organisationen dabei zu helfen, Daten und Forschungsergebnisse für ihre Entscheidungen zu nutzen. In der Corona-Krise zeige sich nun, wie evidenzbasierte Politik aussehen kann. Corona-Daten sind die harte Währung für Entscheidungen von Staat, Unternehmen und Privatpersonen. "Wir verwenden nun alle das gleiche Playbook", sagt Blauer. Oder anders gesagt: Auf dem oft geschmähten Zettel, den Gesundheitsminister Rudolf Anschober bei Pressekonferenzen gerne hochhält, stehen genau die Zahlen, anhand derer auch wir als Einzelpersonen entscheiden, ob wir Freunde treffen. Auch wenn die Entscheidungen letztlich unterschiedlich ausfallen mögen.

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Daten sind plötzlich überall und Basis für Entscheidung von Politik, Unternehmen und Privatpersonen. Ein Trend, der bleiben könnte.
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Privatsphäre trotz Offenheit

Aber auch für die Forschung selbst sind Daten von großem Interesse. "Datensammlungen haben an Bedeutung gewonnen, vor allem in den Sozialwissenschaften", sagt Matthias Reiter-Pázmándy, stellvertretender Leiter der Abteilung Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaft im Wissenschaftsministerium (BMBWF). Für Wissenschafter sei es wichtig, dass Daten "so offen wie möglich" und – in Hinblick auf Datenschutz – "so eingeschränkt wie notwendig" zur Verfügung stehen. Das große Projekt auf europäischer Ebene sei dabei die European Open Science Cloud, die Forscher mit Daten versorgen soll – über geografische und disziplinäre Grenzen hinweg. Auch die Nichtwissenschafter, Stichwort "Citizen Science", tragen immer mehr zur Forschung bei.

Im Regierungsprogramm hat sich die Koalition zudem darauf geeinigt, ein "Austrian Micro Data Center" einzurichten, in dem Daten, die der Staat ohnehin sammelt, Forschenden zur Verfügung gestellt werden sollen. "Diese Daten sind oft sehr sensibel, können aber für die Wissenschaft extrem wertvoll sein", sagt Reiter-Pázmándy. So könne etwa herausgefunden werden, wie sich soziale Strukturen auf die Verbreitung des Coronavirus auswirken. Dabei soll das Projekt schon technisch so umgesetzt werden, dass Rückschlüsse auf Einzelpersonen unmöglich sind – denn diese seien für die Wissenschaft ohnehin uninteressant.

Beth Blauer leitet die Centers for Civic Impact an der John Hopkins University. Sie ist froh, dass Daten endlich im Mittelpunkt politischer Entscheidungen stehen.

Auch Arbeitgeber können Daten nutzen, um Arbeitsplätze zu besseren Orten zu machen, ist sich Barbara Wittmann, Country Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz beim Karrierenetzwerk Linkedin, sicher. Gerade in Zeiten von Homeoffice sei es für Unternehmen wichtig, sich systematisch nach dem Wohlbefinden der Mitarbeiter zu erkundigen. Erhebungen von Linkedin hätten etwa gezeigt, dass der zweite Lockdown als belastender wahrgenommen wird als der erste, insbesondere für Familien. Bei der Suche nach Lösungen dürften sich Arbeitgeber nicht auf Einzelgespräche und Annahmen, sondern laufende, konsequente Erhebungen verlassen. "Hier können Daten wirklich hilfreich sein", sagt Wittmann.

Neue Zusammenarbeit

Das Arbeiten aus der Ferne, das die meisten Menschen erst seit einem Jahr kennen, ist in der IT-Branche bereits ein alter Hut. "Im Durchschnitt arbeiten an einem Open-Source-Softwareprojekt Menschen aus 41 Nationen mit", sagt Marko Berković, Regional Director bei Github, einer Plattform, bei der Programmierer ihren Code verwalten und zusammen weiterentwickeln können. Der Collaboration-Gedanke werde auch im Unternehmen selbst gelebt: Rund 70 Prozent der Arbeit bei Github erfolge remote von Mitarbeitern rund um den Globus, so Berković. Interne E-Mails gebe es dort nicht, stattdessen ist sämtliche Kommunikation für alle Mitarbeiter einsehbar, damit jeder Feedback einbringen kann.

Matthias Reiter-Pázmándy vom Wissenschaftministerium denkt, dass gerade sensible Daten für die Forschung interessant sein können. Der Datenschutz müsse aber stets gewahrt bleiben.
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Auch was Daten angeht, sei quelloffener Code ein mächtiges Werkzeug und könne letztlich zu mehr Datenschutz führen. "Wenn der Passagier die Daten sind, ist das Auto der Code", sagt Berković. Die meisten Apps zum Contact-Tracing von Corona-Infektionen – auch die österreichische – sind etwa öffentlich auf Github einsehbar. Freiwillige könnten so Fehler am "Auto" finden, während die Identität des "Fahrers" privat bleibt. (pp, 26.2.2021)