Die vorgezogene Neuwahl im Kosovo am 14. Februar brachte einen enormen Erfolg für die Partei „Bewegung Selbstbestimmung“ (Lëvizja Vetëvendosje, LVV) und ihren Parteichef Albin Kurti. Laut vorläufigem Wahlergebnis holte sie fast 48 Prozent der Stimmen.

Gestärkt durch die massive Zustimmung sprach sich Kurti nach der Wahl erneut für eine Vereinigung mit Albanien aus. Für die EU wird die LVV somit weiterhin, ihrem Parteinamen entsprechend, kein einfacher Verhandlungspartner sein.

Wer ist der designierte Premier Albin Kurti und seine LVV?

Kurti erlangte als einer der Anführer der Studierendenproteste gegen Slobodan Milošević in den späten 1990ern größere Bekanntheit. Nachdem er für die kosovarische Befreiungsarmee UÇK tätig war und in serbische Gefangenschaft geriet (1999-2001), gründete Kurti 2004 die LVV. Im Ursprung war diese eine aktivistische Bewegung, die sowohl die nationale Politik als auch die internationale Verwaltung des Landes vehement kritisierte.

Seitdem provozierten Kurti und die LVV immer wieder, traten mitunter kritisch gegen die von der EU mitverhandelten Kompromisse mit Serbien auf und mobilisierten erfolgreich zu großen Demonstrationen. Zudem positionierten sie sich klar gegen Korruption und distanzierten sich vom politischen Establishment, das vor allem aus der UÇK entstanden ist. Diese Positionen fanden in den letzten Jahren immer mehr Unterstützung. Seit dem ersten Antritt der LVV bei Parlamentswahlen 2010, bei der sie rund zwölf Prozent der Stimmen gewann, wuchs ihr Stimmenanteil nahezu stetig an.

Kurtis turbulente erste Amtszeit

Kurtis erste Amtszeit als Regierungschef endete 2020 nach nur 53 Tagen, da seine Koalitionspartnerin, die Demokratische Liga des Kosovo (LDK), die Regierung verlassen hatte. Zuvor war es immer wieder zu Spannungen innerhalb der Koalition, aber auch zwischen der LVV und dem damaligen amerikanischen Sondergesandten für die Friedensverhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo, Richard Grenell, gekommen. Trump und Grenell wollten vor der US-Wahl außenpolitische Erfolge erzielen, denen die LVV im Weg stand.

Vor der Wahl im Februar 2020 profitierte die LVV davon, dass die Übergangsregierung, angeführt von der LDK, in der Pandemie keine gute Bilanz aufweisen konnte. Zudem wurden zentrale politische Figuren des Landes, die aus der UÇK stammen, wie der ehemalige Präsident Hashim Thaçi, im November 2020 vor dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen angeklagt. Beides ebnete den Weg für den jüngsten Wahlerfolg der LVV.

Parteiführer Kurti.
foto: AFP/ARMEND NIMANI

Was ist von der LVV-Regierung zu erwarten?

Die großen politischen Ziele der LVV sind – neben der Bewältigung der Pandemie – vor allem die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voran zu treiben und die besonders unter jungen Menschen sehr hohe Arbeitslosigkeit zu senken. Zum ersten Mal waren diese Themen stärker im Wahlprogramm der LVV vertreten als die sonst so präsenten Anti-Korruptions- und Anti-Establishment-Slogans. Ideologisch ist die LVV schwer zu greifen, da sie ökonomisch eher linke Positionen vertritt, aber zugleich durchaus populistisch und nationalistisch auftritt. Das nach der Wahl in Deutschland verbreitete Bild, dass eine dezidiert linke Partei die Wahl im Kosovo gewonnen hat, wird der Partei nicht ganz gerecht.

Folgen für die Außenpolitik des Kosovo

Die im Kosovo so präsenten internationalen Akteure und Akteurinnen werden weniger über den Sieg der LVV erfreut sein. 2011 bezeichnete der französische Botschafter im Kosovo eine Aktion der Partei in Mitrovica als „faschistisch“. Nachdem Aktivistinnen und Aktivisten der LVV 2013 den Zugang zum Parlament blockierten, um eine Abstimmung über ein Abkommen mit Serbien zu verhindern, verweigerte die US-Botschaft lange ein Treffen mit der Vertretung der LVV. Bei der Aktion vor dem Parlament wurde die damalige US-Botschafterin Tracey Ann Jacobson tätlich angegriffen. 2015 warf die LVV Tränengas im Parlament, um eine Abstimmung zur Grenzziehung mit Montenegro zu stoppen.

Auch wenn die Positionen und die Tonalität der LVV in den letzten Jahren moderater wurden, so wird die neue Regierung des Kosovo kein einfacher Partner für die EU und die USA sein, vor allem, wenn es um die Verhandlungen eines Abkommens zur Normalisierung der Beziehungen mit Serbien geht– eine zentrale Bedingung der EU, um mit dem Kosovo Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Der aktuelle Botschafter der USA im Kosovo, Philip Kosnett, war zuletzt sehr bemüht, jeglichen Äußerungen im Land, die sich für die Vereinigung mit Albanien aussprechen, entgegenzuwirken — eine Position, die die LVV gemäß ihrem Slogan „keine Verhandlungen, Selbstbestimmung“ seit 2008 auch nach der jüngsten Wahl wiederholt hat. Bemerkenswert ist außerdem, dass die LVV in Albanien bereits eine Schwesterpartei gegründet hat und dies auch für Nordmazedonien für Sommer 2021 angekündigt hat.

Wie reagiert die Europäische Union?

Offen bleibt, ob die EU ihre Bemühungen, das Normalisierungsabkommen zwischen dem Kosovo und Serbien zu erreichen, stärker forcieren wird. Die Versuche der EU, den Dialog zwischen beiden Ländern zu intensivieren, brachte in den letzten Jahren wenig Erfolge. Das im September 2020 in den USA vom serbischen Präsidenten Vučić und dem kosovarischen Übergangspremier Hoti (LDK) unterzeichnete Wirtschaftsabkommen hatte die eigentlichen Streitpunkte, wie die serbische Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo, die rechtliche Aufarbeitung des Kosovokriegs (Kriegsverbrechen, Reparationszahlungen) oder die Frage nach der serbischen Minderheit im Kosovo, ausgespart. Nach der Wahl ist nun klar, dass bei den EU-Verhandlungen mit dem Kosovo kein Weg an der LVV vorbeiführt. Selbst wenn die EU (und die USA) eine neue Strategie an den Tag legen sollten, befindet sich die LVV nach der Wahl in einer Position der Stärke, was ihr Abrücken von den bekannten Standpunkten unwahrscheinlich erscheinen lässt.

In seiner Rede am Wahlsonntag ließ Kurti verlauten, dass die Verhandlungen mit Serbien nicht oben auf seiner Prioritätenliste stehen würden. Vielmehr sollen innenpolitische Themen, vor allem das Schaffen von Arbeitsplätzen, im Vordergrund stehen. Im Vorfeld der Wahl hatten Umfragen ergeben, dass nur knapp 15 Prozent der kosovarischen Bevölkerung der Ansicht sind, dass ein derartiges Abkommen mit Serbien ihr persönliches Leben verbessern würde. Kurtis Anspielung auf diese Umfrage war somit auch ein Symbol dafür, dass die kommende LVV-Regierung wirklich die Interessen der Bevölkerung vertritt und deren Lebenssituation verbessern möchte. Mit derartigen Versprechen konnte Kurti das Vertrauen der meisten Wählerinnen und Wähler gewinnen. Ob ihm dies auf internationaler Ebene bei Verhandlungen mit Serbien, der EU oder den USA auch gelingen kann, wird sich erst beweisen müssen. (Tobias Spöri, Artan Mustafa, 1.3.2021)

Tobias Spöri ist Research Fellow beim Think Tank d|part und lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Artan Mustafa forscht zu Sozialpolitik und lehrt an der Universität für Wirtschaft und Technologie (UBT) in Prishtina.

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