Am 18. Februar übergab Viktor Orbán in einer feierlichen Zeremonie in Schloss Wawel (Krakau) seinem polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki den Kinderharnisch von Sigismund II.

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Eine Rückgabe, die einen ehemaligen Eigentumsanspruch voraussetzt, oder ein Geschenk: Auf der politischen Bühne führt Symbolik die Regie und wird bisweilen auf Differenzierung verzichtet, wie ein aktuelles Beispiel zeigt. Anlässlich des 30-jährigen Gründungsjubiläums der Visegrád-Vier gab Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Polen die zuletzt im Budapester Nationalmuseum verwahrte Kinderrüstung des polnischen Königs Sigismund II. August (1520–1572) "zurück", wie lokale Medien berichteten.

Premier Mateusz Morawiecki gab sich erfreut über das "wertvolle Zeichen der polnisch-ungarischen Freundschaft". Es sei "keine leichte Geschichte" gewesen, zu "entscheiden, wer Rechte an dem Kunstschatz hat", erläuterte Orbán. Weder Ungarn noch Polen, sollte man hier argumentieren, da, wie beiläufig erwähnt wird, dieser "Schatz" aufgrund eines "Missverständnisses" nach Ungarn gelangt war.

Hofjagd- und Rüstkammer

Tatsächlich war der künstlerisch hochwertige und partiell vergoldete Knabenharnisch bis 1933 im Kunsthistorischen Museum (KHM) beheimatet, wie Stefan Krause, Direktor der Hofjagd- und Rüstkammer im Gespräch bestätigt. Nach dem Ende der Monarchie hatte Ungarn bei den Ausgleichsverhandlungen von Österreich etwa 100 Objekte mit Bezug zu seiner Nation aus der Waffensammlung gefordert. Darunter auch die Rüstung.

Die Hofjagd- und Rüstkammer war 1888/89 durch die Zusammenlegung der kunsthistorisch relevanten Teile des ehemaligen kaiserlichen Zeughauses in Wien sowie der Rüstkammer der historischen Ambraser Sammlung entstanden. Als erster wissenschaftlicher Leiter legte Wendelin Boeheim bis 1896 das noch heute gültige Inventar an.

Falsche Zuschreibung

Für den unter "A 112" erfassten Kinderharnisch war die korrekte historische Zuschreibung irgendwann verlorengegangen, bis Boeheim eine "alternative" veröffentlichte: Demnach gehörte er einst Ludwig II., König von Ungarn (1506– 1526). Seine Theorie leitete er unter anderem vom Monogramm ES oder SE an unterschiedlichen Stellen der Rüstungsteile ab: Das stehe für "Elisabetha sancta", der Heiligen Ungarns.

Dass solche Monogramme üblicherweise die Anfangsbuchstaben eines fürstlichen Paares zierten, wurde dabei ignoriert. Im konkreten Fall hätte es sich also um ein sehr junges Paar handeln müssen, um eines, das womöglich noch im Kindesalter miteinander verlobt wurde? Exakt, wie Bruno Thomas, ein späterer Sammlungsleiter herausfand und 1939 publizierte.

In Innsbruck gefertigt

Als Auftraggeber identifizierte er Kaiser Ferdinand I., der den Harnisch 1533 bei dem in Innsbruck tätigen Meister Jörg Seusenhofer ausführen ließ: Für seinen künftigen Schwiegersohn, den damals 13-jährigen Sigismund ("S"), den er 1530 mit seiner vierjährigen Tochter verlobt hatte. Entsprechend der habsburgischen Ostpolitik sollte Elisabeth ("E") Polen durch Erbschaft dem Haus Österreich sichern. Vergeblich, sie starb 1545, ohne einen polnischen Thronerben zu hinterlassen.

Die Rüstung, der Sigismund schon vor der Hochzeit 1543 entwachsen war, kehrte ins kaiserliche Zeughaus zurück. Ohne die falsche Zuschreibung hätte sie Wien nie verlassen. Das von Orbán erwähnte "Missverständnis" ist der Fachwelt seit 82 Jahren bekannt. (Olga Kronsteiner, 26.2.2021)