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Ein Beratungsgespräch über eine ungewollte Schwangerschaft sollte Frauen weiterhelfen, wenn sie nicht weiterwissen.

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3+. In der Schule die Note "Befriedigend", auf dem Display eines Schwangerschaftstests hingegen ein Indiz für einen heranwachsenden Embryo, vier bis fünf Wochen nach der Befruchtung der Eizelle. Für Frauen, die keine Schwangerschaft planen, eine unbefriedigende Ziffer. Immerhin besitzt die Zellansammlung im eigenen Uterus das Potenzial, den eigenen bisherigen Lebensentwurf nahezu auszuradieren.

Ein Verein in Tirol gibt auf seiner Website an, ungewollt Schwangere ergebnisoffen zu beraten und dabei jede Entscheidung der Frau zu respektieren. Gleichzeitig listet er eine katholische Einrichtung als Sponsor. Zwar distanziert sich der Verein von radikalen Abtreibungsgegnern, doch in einer Positionierung bezeichnet sein Obmann einen Schwangerschaftsabbruch als "Vernichtung von Leben." Ergebnisoffen klingt anders.

Meine Freundin Lisa (25) und ich, 26 Jahre alt, wollen herausfinden, wie ein Beratungsgespräch im Dunstkreis der katholischen Kirche wirklich abläuft. Lisa ist zum Glück nicht schwanger. Seit vier Jahren führen wir eine intakte Beziehung und wohnen schon zusammen in einer kleinen Wohnung, doch über Kinder sprechen wir noch nicht. Zu unsicher die Finanzen, zu wichtig die Karriere, zu groß das Bedürfnis nach jugendlicher Unabhängigkeit. Um die Wahrheit hinter dem offiziellen Wortlaut zu erfahren, müssen wir das Gedankenexperiment wagen und den Ernstfall vortäuschen: Lisa ruft vormittags bei der Stelle an und erzählt, dass sie ungewollt schwanger sei. Sie bekommt einen Termin für ein Telefongespräch, noch am selben Abend. Auch ich darf dabei sein.

Erzählen Sie doch mal

Wir treffen uns abends in unserer Wohnung und schreiben unsere Geschichte mit Bleistift auf einen großen Block. Lisa bedauert, dass wir gleich eine Person, die uns ehrenamtlich helfen will, anlügen werden. Doch eigentlich lügen wir nur hinsichtlich der biologischen Fakten. Tatsächlich wissen wir nicht: Würde Lisa wirklich abbrechen wollen? Nicht authentisch ist nur die halbe Flasche Beruhigungsrotwein, auf die sie im Falle einer tatsächlichen Schwangerschaft verzichtet hätte.

Wir kuscheln uns mit dem Notizblock auf der Couch zusammen. Dann klingelt das Telefon. "Unbekannte Nummer" leuchtet auf dem Display. Lisa nimmt noch einmal tief Luft, hebt ab und schaltet den Lautsprecher ein. Schwerfällig und mit brüchiger Stimme stellen "Lisa und Max" ihre Allerweltsnamen vor.

Eine Frau, der Stimme nach zur urteilen im mittleren Alter, begrüßt uns herzlich. Ich möchte sie an dieser Stelle Maria nennen. "Jetzt verzählen S' doch mal", sagt sie, und Lisa trägt unser Skript vor: eine 3+ auf dem Display, fünfte Woche, Bestätigung der Gynäkologin, kein Geld, keine Zeit, keine Lust – alle Zeichen stehen auf Abbruch. Maria murmelt bestätigende Laute, auch sie scheint sich Notizen zu machen. Nach der Geschichte stellt sie sogleich eine Schlüsselfrage: "Was sagt denn der Freund zu der ganzen Sache?"

Auch ich stelle mich vor. 26 Jahre, geisteswissenschaftliches Masterstudium, wenig Geld in der Tasche, geht gern ein Bier zu viel trinken. Ich gebe an, die Entscheidung ganz meiner Freundin überlassen zu wollen. "Her body, her choice" – eine Rolle, die ich auch im Ernstfall verkörpern würde. Lisa klopft mir sarkastisch auf die Schulter, doch auch von Maria gibt es Lob: "Das ist schon mal eine tolle Einstellung!", sagt sie. Sie versucht nicht, Einfluss auf mich zu nehmen – eine erste Überraschung.

Moralkeule bleibt aus

Es folgt ein Frage-Antwort-Spiel, Maria möchte mehr über unser Leben erfahren. Wir erzählen von den Eltern, die nicht in Innsbruck wohnen, und vom Freundeskreis, in dem noch niemand an Nachwuchs denkt. Immer wieder schreiben wir uns gegenseitig neue Fragen auf den Block und haken so all unsere vorgetäuschten Sorgen und Bedenken ab. Maria antwortet verständnis- und respektvoll. Der Schwung mit der Moralkeule bleibt aus: "Wenn es nicht passt, dann passt es nicht", sagt sie und nennt sogar die Ordination, an die wir uns wenden können, falls Lisa sich für einen Abbruch entscheiden sollte.

Maria legt längere Denkpausen ein, seufzt oder bricht ihre Antwort ab, um neu auszuholen. Wir reden nicht mit einer Hardlinerin, die eine Pro-Life-Agenda diktieren möchte. Maria nimmt sich unsere fiktive Lage zu Herzen, sie will uns helfen, die richtige und nicht "die eine" Entscheidung zu treffen.

Dennoch ist ihr Seufzen auch ein Symptom ihrer zunehmenden Emotionalität. Schnell wird deutlich: Maria liebt Kinder und das Muttersein. Sie erzählt von den Phasen der Schwangerschaft und gerät dabei ins Schwärmen. Sie möchte auch uns, wenn auch subtil, für das Austragen des Kindes begeistern. Dabei wirkt sie aber nicht marktschreierisch, sondern informiert unverbindlich über Adoption, über Karenzgeld und über Windelpreise.

Marias Begeisterung für Kinder ist schwer zu verurteilen. Dennoch streut sie subjektive Haltungen in das Gespräch ein, die uns problematisch erscheinen. So ist sie überzeugt, dass ein Embryo, wenn er trotz Verhütung entstehe, "offensichtlich leben will", oder erzählt Anekdoten von Paaren, die am Kinderwunsch scheitern und darunter leiden. Als wir darüber diskutieren, ob wir unsere Eltern einweihen sollten, sagt sie, dass "die Mama vielleicht auch gern einen Enkel hätte". Das sei aber "nur so ein Gedanke".

Widersprüche

Es sind Aussagen und Geschichten, die bei Betroffenen kleine Steinchen auf die moralische Waagschale werfen und eine Entscheidung erschweren können. Das rückt trotz aller Herzlichkeit die Widersprüche, die bereits auf der Website des Vereins lesbar waren, in den Fokus. Einem Embryo aus Aberglauben einen eigenen Willen zuzusprechen könnte ungewollt Schwangere unter Druck setzen. Unweigerlich stellt Maria damit indirekt die Ethik-Frage: Sollte sich Lisa wirklich gegen den Willen ihres ungeborenen Kindes entscheiden?

Maria macht uns mit diesen Aussagen zu Tätern. Vielleicht sogar zu den "Vernichtern von Leben", die ihr Verein in seiner Positionierung anprangert. Wir glauben nicht, dass sie das beabsichtigt, es sind intuitive Aussagen, sie sind menschlich und offenbaren Marias Mutterliebe, doch sollten sie im Rahmen einer Konfliktberatung wirklich fallen dürfen?

Das Gespräch neigt sich dem Ende zu. Wir einigen uns mit Maria, dass wir vor dem nächsten fiktiven Frauenarztbesuch noch einmal gründlich nachdenken und Informationen sammeln. "Egal welche Entscheidung Sie treffen, es wird die richtige sein", sagt sie und verabschiedet sich. Ein ermutigendes und versöhnliches Schlusswort. Wir bedanken uns und legen auf. Lisa gießt sich noch einen Schluck Rotwein ein. Sie bittet mich, nichts Schlechtes über Maria zu schreiben.

Ich möchte nichts Schlechtes über Maria schreiben. Sie klärte uns "ergebnisoffen" auf, zeigte Mitgefühl und Verständnis für unsere Tendenz zum Abbruch. Wir telefonierten nicht mit einer Fundamentalistin, die mit Plakaten vor Abbruchsambulanzen ihre Parolen brüllt.

Doch wir telefonierten auch mit einer Mutter. Einer Mutter, die ein Kind als "Wunder" bezeichnet; die mit ihren Aussagen Gedanken sät, die im Falle eines Abbruchs Wurzeln schlagen und mit ihren Dornen kräftig ins Gewissen piksen. Das Gespräch wirft somit neue Grundsatzfragen auf: Ist es nicht das Recht einer Mutter, eine andere Frau für das Austragen eines Kindes ermutigen und begeistern zu wollen? Oder ist es verantwortungslos, einem Embryo Willenskraft zuzusprechen, gegen die sich eine Betroffene bei einem Schwangerschaftsabbruch entscheiden muss? Wie viel Haltung, Gefühl und eigene Erfahrungen darf eine Beraterin bei so einem Gespräch einbringen?

Auch wenn wir uns um Authentizität bemühten, fehlte uns der Ernst der Lage, um diese Fragen beantworten zu können. Wir wissen nicht, ob Marias Beratung Lisa die Entscheidung erleichtert oder erschwert hätte. Wir sitzen noch lange auf der Couch und überlegen, welche Schulnote wir der Beratung geben würden. Wir entscheiden uns für eine zwiegespaltene 3+. Maria war sehr aufmerksam und stets bemüht. (Max Eberle, 26.2.2021)