Sich selbst im Netz erkennen: Christian Burger.

Foto: Regine Hendrich

Der Blickwinkel "Hass im Netz" dominiert seit Jahren die Debatte darüber, wie wir im Internet miteinander umgehen und (nicht) umgehen sollen. Dieser einseitige Fokus, dieses Starren auf die negative Eskalation im Netz verstellt die Sicht auf das komplexe Wesen von Onlinediskursen.

Nicht nur das, wir beschäftigen uns in der Politik, im Medienmanagement und aktuell zunehmend in der Gesetzgebung vorwiegend mit Verhinderungsmechanismen und versuchen so, Fehlverhalten in der virtuellen Sphäre zu minimieren. Bei diesen Bemühungen, Schwächen zu schwächen, vergessen wir völlig darauf, dass es vielleicht eine bessere Strategie gibt: Stärken zu stärken.

Zahlreiche Initiativen in der Gesetzgebung zielen darauf ab, Hass im Netz mittels stärkerer staatlicher Regulierung zu bekämpfen: (...) In Österreich trat im Jänner 2021 das Kommunikationsplattformen-Gesetz in Kraft, das große Social-Media-Anbieter ebenfalls dazu zwingen soll, Hasspostings zu löschen.

Auf EU-Ebene wird derzeit an ähnlichen Regelungen in einem Gesetz für digitale Dienste gearbeitet. All diese Initiativen sind umstritten, weil Overblocking, also eine unverhältnismäßig große Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, befürchtet wird.

Problem an der Wurzel packen

Eine Anpassung bei Gesetzen ist notwendig, um Opfer zu schützen, greift jedoch zu kurz, wenn es darum geht, das Problem an der Wurzel zu packen. Virtuelle Räume müssen so gestaltet werden, dass sie zum Fundament für konstruktive Debatten werden und wenig Platz für destruktives Verhalten lassen.

"Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen." Das ist die zentrale These von Georg Franck in seinem Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit (1998). Aktuell schenken wir unsere Aufmerksamkeit jenen, die das Niveau der Debatten im Internet senken, andere persönlich angreifen oder Straftaten begehen.

Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut in der Onlinewelt. An einem Ort, an dem jeder publizieren kann, ist es von großer Bedeutung, Gehör zu finden und Reaktionen auszulösen. Gelingt dies vorwiegend mit destruktiven Methoden, so werden sich diese durchsetzen. Wenn wir aber konstruktive Debattenbeiträge honorieren, indem wir uns auf sie konzentrieren und sie ins Scheinwerferlicht stellen, wird ihre Zahl steigen. (...) Die entscheidende Frage ist, wie erreicht werden kann, dass mehr Menschen in Onlinegesprächen auf sachlicher Ebene diskutieren und mit entsprechender Aufmerksamkeit für Argumente belohnt werden.

Seit gut einem Vierteljahrhundert durchdringt das Internet immer größere Bereiche unseres Lebens. Ein wesentlicher Teil der gesellschaftlichen Kommunikation findet im virtuellen Raum statt. Onlinediskussionen wirken sich auf die Meinungsbildung vieler aus und haben entscheidenden Einfluss auf unser reales Leben.

Zu Recht wird auf destruktives Verhalten im Netz verwiesen, das die Kommunikation stört, Meinungen verzerrt und negative Konsequenzen im gesellschaftlichen Miteinander nach sich zieht. Die Debatte über Hass im Netz leidet jedoch darunter, dass voreilig falsche Schlüsse gezogen werden und damit relativ einfach anmutende Lösungen angestrebt werden, die nicht wirksam sein können.

Das digitale Ich

Digitale Masken, also die Verwendung von Pseudonymen im Internet, sind nicht die zentrale Ursache für destruktives Verhalten. Es erzeugt Unbehagen, wenn wir nicht genau wissen, mit wem wir es in Onlinediskussionen zu tun haben, das ist richtig. Eine Echtnamenpflicht, wie auch immer sie ausgestaltet ist, stellt keine geeignete Lösung dar. Sie führt nicht zu wesentlich zivilisierterem Verhalten, und sie mindert nicht das Unbehagen, das von einem Online-Gegenüber ausgeht.

Wir brauchen ein digitales Ich, das für soziale Selbstkontrolle im Netz sorgt. Eine Repräsentation für Menschen im virtuellen Raum, die eine Einschätzung durch andere erlaubt und Sicherheit gibt. Ein Echtname ist zu wenig, genauso wie ein Pseudonym. Das digitale Ich muss verschiedene Eigenschaften einer Person möglichst einfach erkennen lassen und eine Einordnung erlauben.

Bei einer Begegnung in einem physischen Raum, zum Beispiel im Kaffeehaus, ist es auch nicht notwendig, den bürgerlichen Namen des Gegenübers zu kennen. Viel entscheidender ist es, andere Kontextinformationen zu erhalten.

Im Kaffeehaus sind das die äußere Erscheinung, die Gestik und Mimik, die Stimme, Gerüche und andere Dinge, die wir nebenbei wahrnehmen. Solche zusätzlichen Signale erlauben uns eine bessere Einschätzung der verbalen Äußerungen anderer Menschen.

In der virtuellen Sphäre lassen sich diese Kontextinformationen schwer herstellen. Es ist jedoch durchaus möglich, ein digitales Ich facettenreicher auszugestalten, als das oft geschieht (...). Wenn ich mich selbst besser im Netz erkenne, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass meine soziale Selbstkontrolle einsetzt. Und mein Gegenüber, das mehr Details von mir wahrnimmt, wird eher Vertrauen aufbauen können. (Christian Burger, 27.2.2021)