Mit "League of Legends" besitzt Tencent eine der wichtigsten Marken im Gaming.

Foto: Riot Games

Wenn heute ein Unternehmen, an dem Tencent beteiligt ist, an die Börse geht, führt das meist zu Bewertungen von mehreren Milliarden Dollar. Jüngst zu sehen bei der Video-App Kuaishou. Was ist das Konzept des Konzerns Tencent, dem außer Insidern kaum jemand ein Gesicht zuordnen kann? Einige Eckdaten zur Orientierung: erstes Gewinn erzielendes Internetunternehmen Chinas, Besitzer von Riot Games (League of Legends), Betreiber des "asiatischen Netflix" und einer der größten Aktionäre der Firma Tesla. Dazu eine der zehn wertvollsten Marken der Welt.

ICQ-Kopie

Immer wieder liest man in den Wirtschaftsnachrichten den Namen Tencent. Klein, in einem Nebensatz. Beteiligt ist der chinesische Konzern mittlerweile an 600 Firmen, bekannte Beispiele sind etwa Spotify, Tesla, Ubisoft, Activision Blizzard oder Snapchat. Entstanden ist das Imperium 1998 im chinesischen Shenzhen, wo auch Firmen wie Huawei, die Drohnen- und Kamera-Firma DJI und der AI-Konzern Sensetime ihren Hauptsitz haben.

Mit dem Instant-Messenger OICQ, der wegen der Namensähnlichkeit zu ICQ später in QQ umbenannt werden musste, startete man in die Internetwelt. Nach drei Jahren ohne Gewinn stieg 2001 der südafrikanische Medienkonzern Naspers mit 46,5 Prozent bei Tencent ein. Bis 2010 wuchs die Nutzerschaft von QQ auf knapp 650 Millionen und damit zu diesem Zeitpunkt zur größten Online-Community der Welt. Durch Premium-User ihres Messenger-Dienstes und den Verkauf von virtuellen Gütern, darunter diverse Online-Games, wurde die Firma profitabel.

"QQ Tang" war eines der ersten Spiele von Tencent.
Foto: Tencent

Der Gaming-Riese

Früh erkannte der Konzern, dass Gaming ein wohl ewig boomender Markt ist, und gründete 2003 deshalb Tencent Games. Das erste eigene Spiel war im Jahr 2004 QQ Tang, namensgleich mit dem chinesischen Fruchtgummi. Dem Bomberman-Klon folgten zahlreiche ähnlich simple Spiele in diversen Genres.

Während man in den Anfängen vor allem mit überschaubar komplexen Spielen aus dem eigenen Portfolio und Lizenzierungen in die Branche drängte, entschied man sich ab 2008, in bestehende Entwicklerstudios zu investieren. Einer der bekanntesten Namen war damals Riot Games, die mit League of Legends eines der heißesten Gaming-Eisen auf dem Markt hatten. 2011 wurde man schließlich mit einem Investment von 189 Millionen Euro Mehrheitseigentümer (92,78 Prozent).

Damit war aber nicht Schluss. Es folgten unzählige Investitionen, um Teilhaber bei Firmen wie Epic Games (Fortnite, Gears of War), Activision Blizzard (Call of Duty, World of Warcraft) und dem Mobile-Giganten Supercell (Clash of Clans) zu werden. Der Angry Birds-Entwickler Rovio wurde, ähnlich wie viele andere kleinere Studios, komplett aufgekauft.

Richtig erfolgreich ist man mittlerweile auch mit den vier eigenen Studios. Das Multiplayer-Online-Battle-Arena-Game Honor of Kings für mobile Geräte erschien 2015 und wurde bis 2017 das umsatzstärkste Spiel und die meistgeladene App aller Zeiten. Bis dahin war Honor of Kings nur in China erhältlich und wurde erst 2017 als Arena of Valor für den Rest der Welt umgesetzt.

Das "PUBG Mobile Game" gehört Tencent.
Foto: AFP, DIPTENDU DUTTA

Auch an eigenen Gaming-Plattformen arbeitet Tencent fieberhaft. 2016 brachte die Firma die Tencent Gaming Plattform (TGP) "The Blade" auf den Markt. Die Intel- und Windows-basierte Konsole ist nur in China erschienen und hat dennoch rund 200 Millionen aktive Nutzer – das sind fast doppelt so viele wie Steam derzeit vorweisen kann. 2017 folgte Wegame, ein Spielemarkt wie Steam, der neben dem Download und Streaming von Spielen auch diverse Community-Features, etwa das Bewerten von Games, mitbrachte. Derzeit hat der Dienst rund 70 Millionen Nutzer.

Neben der Gaming-Sparte investiert Tencent seit Anbeginn in Bereiche wie TV, Musik, Comics und Videostreaming und hat in jeder Sparte mittlerweile festen Boden unter den Füßen. Sogar eine Google-Alternative namens Sogou wurde entwickelt. Das prominenteste Produkt der Firma ist aber sicher Wechat.

Wollmilchsau

Wechat wurde 2011 eingeführt, damals noch als Chatsoftware für Smartphones. Aus der Whatsapp-Alternative ist jedoch etwas geworden, was man im Rest der Welt so nicht kennt – die eierlegende Wollmilchsau. Mittlerweile kann man mit der App auch bezahlen, Essen bestellen, Jobs suchen, Arzttermine buchen oder sogar offizielle Anträge stellen, etwa einen Visumsantrag bei der zuständigen Dienststelle stellen.

Mit einer Reichweite von 1,2 Milliarden Nutzern im Monat ist die App eine der erfolgreichsten der Welt. Auch 100 Millionen Auslandschinesen halten so Kontakt mit ihrer Heimat. Wechat ist die zentrale Kommunikationsstelle für viele Chinesen, über die quasi alles erledigt wird. Firmen legen in China auch zuerst ein Wechat-Profil an, bevor es an das Erstellen einer eigenen Website geht.

Auch die Österreich-Werbung brüstet sich 2018 mit einer Partnerschaft mit Wechat. Mit "In Tune with Austria" stellte man eine Mini-App im Wechat-Universum vor, die als eine Art Tripadvisor fungieren soll. Nutzer können "beobachten, was Österreicher gerade tun, und alle Postings in der App kommentieren. Das geschieht via Wechat-Moments und Wechat-Friend-Groups." Im Gespräch mit dem STANDARD sagt ein Sprecher der Österreich-Werbung, man wolle damit Werbung für Österreich in Wechat ermöglichen. Interessierte Firmen, die sich in Wechat positionieren wollen, können sich zudem diesbezüglich an die Österreich-Werbung wenden.

Werbung für Wechat am Flughafen von Hongkong.
Foto: AFP / Richard A. Brooks

König des Kopierens

Begonnen hat alles mit einer Kopie von ICQ, und auch heute werfen Kritiker der Firma vor, in erster Linie Ideen anderer zu stehlen. "Das Problem mit Tencent ist, dass sie keine eigenen Ideen haben – alle ihre Produkte sind Kopien", wird etwa Konkurrent und Alibaba-Group-CEO Jack Ma zitiert.

Auch die Nähe zur chinesischen Regierung wird Tencent oft vorgeworfen. So soll die Firma regelmäßig "patriotische Spiele" produzieren, beispielsweise Clap for Xi Jinping: An aweseome Speech, bei dem es gilt, 19 Sekunden lang möglichst oft für den Parteichef zu applaudieren. Vorwürfe von US-Geheimdiensten, chinesische Ministerien würden immer wieder Förderungen in Richtung Tencent ausspielen, wurden bis jetzt dementiert.

In Sachen Zensur häufen sich die Schlagzeilen gegenüber dem chinesischen Unternehmen ebenfalls. So sollen auf der Wechat-Plattform politisch heikle Inhalte, etwa von Tiktok oder der nur in China verfügbaren Alternative Douyin, ausgeblendet worden sein. Es folgten zahlreiche Rechtsstreitigkeiten zwischen den Firmen. Mittlerweile hat Tencent in den direkten Tiktok-Konkurrenten Kuaishou investiert, der demnächst an die Börse gehen will.

Auch die wichtigste App von Tencent, Wechat, stand immer wieder in der Kritik. So soll die App zum Ausspähen von Nutzern und zur Internetzensur genutzt worden sein, berichten etwa Forscher der Universität Toronto. Seit 2017 ist die Weitergabe nahezu aller Informationen in Wechat an die chinesische Regierung Teil der offiziellen Datenschutzrichtlinien.

Mittlerweile gibt es allerdings zunehmend Zerwürfnisse mit der chinesischen Regierung. In China wird verschärft gegen Wettbewerbs- und Datenschutzverstöße vorgegangen. Ziele sind unter anderem die eigenen Technologieriesen, darunter auch Tencent. Auch die Zulassung neuer Spiele erschweren die Behörden zunehmend – "zum Schutz der Jugend". Ein herber Schlag für das Unternehmen.

Rechtsstreitigkeiten führt man mittlerweile mit vielen Unternehmen.
Foto: AFP, Drew Angerer

Gut durch die Krise

In den Jahren 2006 bis 2016 ist die Tencent-Aktie um 5.800 Prozent gestiegen, und auch wenn man sich die aktuelle Kurve ansieht, geht sie tendenziell nach oben. Corona hat dem Unternehmen ebenfalls nicht schaden können. Der Spieleboom 2020 hat auch den Aktienkurs des chinesischen Konzerns ordentlich nach oben gebracht. Selbst Klagen von Tiktok-Eigentümer Bytedance und diversen Fahrzeug-Technologie-Herstellern, die Tencent unter anderem Ausnützung der dominanten Marktposition vorwerfen, hatten kaum Einfluss auf den Positivtrend.

Erschüttern wird Tencent deshalb sehr wahrscheinlich nichts. Gemeinsam mit Netease besitzt man etwa 70 Prozent Marktanteil am chinesischen Online-Spielemarkt. Global gesehen ist man der größte Spieleentwickler der Welt, noch vor Giganten wie Activision Blizzard. Die Verwurzelung im chinesischen Alltagsleben durch Wechat wird eher wachsen als schrumpfen, auch wenn man sich mittlerweile nicht mehr ganz so einig mit der Regierung ist wie in den vergangenen Jahren.

Als weitere Stützen dienen Investitionen in weitere zukunftsorientiere Märkte, etwa die Cloud-Sparte oder E-Mobilität. Sogar im Bereich Blockchain ist man dank einer Kooperation mit New Economy Movement ebenfalls unter den Top Ten der Welt. Allein die Ankündigung der Integration der Kryptowährung XEM in die Wechat-App katapultierte den Aktienwert der Kryptowährung um 250 Prozent nach oben.

Aus der ehemaligen Copy-Cat wurde ein Unternehmen, das in allen wichtigen Märkten eine Rolle spielt. Weiteres Wachstum sehr wahrscheinlich. Der einzig nennenswerte Widersacher sitzt im eigenen Land. Zu mächtig will die chinesische Regierung auch eigene Unternehmen nicht werden lassen, wie man zuletzt bei Alibaba gesehen hat. (Alexander Amon, 28.2.2021)