Ex-Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sieht auch bei der Linken grüne Elemente, mahnt aber soziale Verantwortung ein.
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Am Samstag wurden Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen und Janine Wissler aus Hessen zu den neuen Chefinnen der Linkspartei gewählt.

STANDARD: Sind Sie froh, dass die Linke nach acht Jahren eine neue Führung bekommt?

Gysi: Ich war auch mit den bisherigen Chefs zufrieden, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gab. Aber ja, jetzt freue ich mich auch auf die Neuen: Susanne Hennig-Wellsow aus dem Osten, Janine Wissler aus dem Westen. Zwei Frauen hatten wir noch nie.

STANDARD: Damit wird der Ur-Konflikt der Linken verlängert: pragmatisch im Osten, radikal im Westen.

Gysi: Ich finde das Bündnis ok. Hennig-Wellsow kennt Regierung und Opposition, Wissler ist im hessischen Landtag in Opposition. Jemand aus dem Westen, der nie im Landtag war, wäre nicht so gut. Die beiden müssen jetzt zusammenführen und sich auch mit Kommunalpolitikern beraten, damit sich alle angesprochen fühlen.

STANDARD: Sehen Sie jetzt Chancen auf ein linkes Bündnis im Bund nach der Bundestagswahl im September?

Gysi: Es gibt natürlich bei uns Leute, die Angst haben, dass man damit die Identität der Linken aufgibt. Ich aber sage: Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig. So sieht es die Mehrheit, die früheren Vorbehalte gegen das Regieren sind abgebaut. Man will, dass endlich politische Realitäten sichtbar verändert und etwa die Renten in Ost und West angeglichen werden.

STANDARD: Wie ist das Verhältnis zwischen Linker und SPD heute?

Gysi: Es hat sich entkrampft. Der Widerstand der SPD gegen ein linkes Bündnis schwindet, weil sie existenzielle Angst hat. An der Seite der CDU geht die SPD unter.

"Susanne Hennig-Wellsow kennt Regierung und Opposition"...
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STANDARD: Welche Bereitschaft orten Sie bei den Grünen?

Gysi: Die eine Hälfte will nach links, die andere mehr nach rechts. Aber warten wir mal ab. In einem schwarz-grünen Bündnis bekämen die Grünen nur den Vizekanzler, in einer linken Regierung könnten sie den Kanzler stellen. Das ist zwar kein edles Motiv, könnte aber bei ihrer Entscheidung den Ausschlag geben.

STANDARD: Außen- und energiepolitisch müsste man aber Gräben überwinden.

Gysi: In Richtung der Grünen müssen wir schon sagen: Man kann nicht einfach ein Braunkohlerevier schließen, man muss den Kumpels auch sagen, welchen Job sie am nächsten Tag haben. Da brauchen wir mehr ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung.

STANDARD: Da lassen sich möglicherweise Kompromisse finden. Aber die Linke lehnt jeglichen Auslandseinsatz der Bundeswehr ab. Wie will man dann mit der SPD regieren?

Gysi: Dabei bleiben wir. Kein Einsatz – von Afghanistan angefangen – hat das gebracht, was versprochen worden ist. Das Militärische ist keine Lösung. Außerdem sollte Deutschland nach der Nazi-Diktatur eine Vermittlerrolle übernehmen und nicht Weltpolizei spielen. Da ändert sich auch die Einstellung bei den Sozialdemokraten. Wir brauchen auch ein neues Verhältnis zu Russland: Wandel durch Annäherung. Die Mehrheit der Menschen lebt nun mal nicht in Demokratien, wir können da nichts neokolonialistisch aufdrängen.

... "Janine Wissler ist im hessischen Landtag in Opposition."
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STANDARD: Wer wäre Ihnen als Unions-Kanzlerkandidat lieber: Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen oder Markus Söder aus Bayern?

Gysi: Söder ist im Norden schwerer vermittelbar, Laschet ist ein bisschen die Fortsetzung der Merkel-Politik. Interessant finde ich, dass die frühe Festlegung auf Olaf Scholz der SPD nichts gebracht hat.

STANDARD: Der Linken ging es auch schon besser. Warum liegt sie nur bei sieben, acht Prozent? Viele erleiden in der Pandemie finanzielle Not.

Gysi: Es wird stark auf die Regierungsparteien geachtet, und wir können uns ja nicht auf die Position begeben, dass es Corona gar nicht gibt, wie es die AfD zum Teil macht. Aber es stimmt: Wir müssen stärker auf bessere soziale Abfederungen dringen. Wenn die Politik etwas schließt, das vorher erlaubt war, ist sie für den Schaden verantwortlich.

STANDARD: Beunruhigt Sie, dass die AfD im Osten die Linkspartei als Protestpartei abgelöst hat? Auch viele Linke sind zuletzt zur AfD abgewandert.

Gysi: Wir sind schon noch stärker als die AfD. Die Leute sehen oft nicht, dass die AfD die Demokratie abbauen will. Sie benutzt diese, um sich selbst nach vorne zu bringen. Aber wenn sie vorne ist, wird sie die Demokratie abschaffen. Diese Gefahr darf man nicht unterschätzen. (Birgit Baumann aus Berlin, 27.2.2021)