Sozialdemokrat Alexander Wrabetz ist längstdienender ORF-Chef.

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Wer jetzt den Kopf hebt und aus der Deckung geht, hat schon verloren. Das sagt einer, der schon ein paar ORF-Chefs und eine -Chefin ganz aus der Nähe gehen und kommen gesehen hat, aus der Perspektive der obersten, der Chefetage des Küniglbergs. Von dort aus wird Österreichs weitaus größter Medienkonzern geführt, mit einer Milliarde Euro Umsatz, 650 davon aus Gebührengeldern, mit rund 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein Konzern, der vor seinem größten Umbau steht, Transformation nennt man das heute: der ORF.

Um diesen ORF, um seine künftige Führung geht es am 10. August 2021. 35 Stiftungsräte bestellen den neuen Generaldirektor oder die neue Generaldirektorin mit einfacher Mehrheit. Diese halten, erstmals seit vielen Jahrzehnten, ÖVP-nahe Mitglieder ganz allein. Die Besetzung liegt damit bei der Volkspartei. Deren Koalitionspartner, die Grünen, kommen auf drei Sitze. Mit ihnen wird man sich vor der Wahl wohl abstimmen, wenn es die politische Großwetterlage noch nahelegt. Auch in den Koalitionsvereinbarungen, den inoffiziellen jedenfalls, liegt dieser Ball bei den Türkisen.

Den Milliardenkonzern ORF führt laut Gesetz ein Alleingeschäftsführer, auch wenn schon lange eine Mehrheit im Nationalrat einen Vorstand für den ORF mit mehreren, gemeinsam verantwortlichen, Mitgliedern will oder das zumindest sagt. Ein neues ORF-Gesetz mit Vorstand statt Alleingeschäftsführer würde eine Neubestellung der Konzernspitze bedeuten. Die Causa Ibiza kam einem entsprechenden Entwurf von ÖVP und FPÖ 2019 zuvor, zum Glück von ORF-General Alexander Wrabetz. Ein neues ORF-Gesetz könnte die nächste Amtszeit der neuen Führung ab 2022 verkürzen.

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PLAN A

Der ruhigste Weg, auch weiterhin: Alexander Wrabetz bleibt, was er ist

Der Seufzer zur Generalswahl kommt aus der bestimmenden Fraktion im ORF-Stiftungsrat: "2016 hatten wir einen Kandidaten und keine Mehrheit. Heute haben wir eine Mehrheit und keinen Kandidaten."

2016 hatte die ÖVP Richard Grasl, damals Finanzdirektor des ORF, heute stellvertretender Kurier-Chefredakteur. Der würde wohl auch heute nicht Nein sagen, steht aber bisher wegen tragischer privater Ereignisse für viele in der ÖVP nicht zur Diskussion.

Mit heute "kein Kandidat" meint der seufzende ÖVP-Stiftungsrat: viele Möglichkeiten, keine zwingende.

Das könnte die zentrale Chance des seit 2007 und damit längstdienenden ORF-Chefs und Sozialdemokraten Alexander Wrabetz auf eine weitere Bestellung sein. Mehr ORF in ihrem Sinne – von Zeit im Bild bis Personal – könnte die ÖVP kaum von einem der ihren erwarten.

Praktisch, aber mit Haken

Doch auch wenn das heute noch so praktisch wäre und am wenigsten Aufsehen bedeutete, stellen sich für die Volkspartei bei einer Wiederbestellung des fast schon ewig Gleichen ein paar Fragen:

Schafft es die ÖVP mit ihrer ersten alleinigen Mehrheit seit Ewigkeiten, einen der bekanntesten Sozialdemokraten zu bestellen? Erinnert sie sich daran, wie rasch und konsequent Wrabetz sich und den ORF etwa mit passenden Umbesetzungen noch an jede neue Regierungskonstellation seit 2007 anpasste? Und bleibt sie Kanzlerpartei: Kann sie das auch von ihm erwarten, wenn er, bald 61, dann nicht mehr an eine Wiederwahl nach 2022 denkt? Und eine sachliche Frage: Kann man von Alexander Wrabetz eine entschlossene Transformation des ORF erwarten?


PLAN B

Kräfte, die von innen wirken: Bürgerliche im ORF

Es schadet nicht, den ORF von innen zu kennen, wenn man das auf dem Küniglberg über Wien ruhende Ungetüm leiten will. Einige Bürgerliche im ORF wollen das erkennbar – oder würden nicht Nein sagen. Für ambitionierte Menschen findet Titelverteidiger Alexander Wrabetz immer wieder Lösungen.

Lisa Totzauer galt lange als klare bürgerliche Favoritin. Wrabetz machte die sehr entschlossene Journalistin zur Channel-Managerin von ORF 1. Dort sollte sie "Fernsehen für junge Menschen" machen. Das war, absehbar, eine schwer zu bewältigende Herausforderung – auch weil sich gleichzeitig die große Streamingstrategie des ORF für die Zielgruppe aus vielen, auch aus (branchen)politischen, Gründen hinzieht. Roland Weißmann hat Mitte 2020 das Streamingthema geschultert, neben seinen Jobs als Finanzchef des Fernsehens und Vize-Finanzdirektor des ORF. Profil wies gerade darauf hin, dass Weißmann 2019 bei einem Führungskräfteseminar von Thomas Zach, dem ÖVP-Fraktionschef im Stiftungsrat, in dessen Schlösschen in Südfrankreich referierte (wie auch Weißmanns Ex-Chef Richard Grasl und andere Medienleute bei anderen Events dort). Nach Auskunft aus dem ORF referierte Weißmann im Urlaub, auf eigene Kosten und mit Okay des Generals.

Unterhalb des General-Radars ist Alexander Hofer unterwegs, der als Channel-Manager von ORF 2 und Unterhaltungschef eine lohnendere Aufgabe übernommen hat. Alle paar Monate ein Interview in einer bürgerlichen Tageszeitung, um an Erfolge zu erinnern, und schon als langjähriger Seitenblicke-Chef gut vernetzt. Alle drei und etwa auch ORF-3-Manager Peter Schöber wären auch Direktoriumskandidaten, womöglich auch Bau- und Sicherheitschef Pius Strobl für die Grünen.


PLAN C

Von außen ins Amt: Möglichkeiten außerhalb des ORF

Wie war das mit A1? 2018 wurde Thomas Arnoldner Vorstandschef des teilstaatlichen Telekomriesen, seit seiner Zeit in der Jungen ÖVP im Freundeskreis von Kanzler Sebastian Kurz. Wer ist der Arnoldner des ORF? Arnoldner selbst müsste dafür auf viel Gehalt verzichten, der ORF-Chef kommt auf 420.000 Euro im Jahr.

Kanzlerberaterin Antonella Mei-Pochtler beriet als Chefin von Boston Consulting (BCG) auch schon den ORF recht umfassend. Fraglich, ob sie das operativ interessieren würde.

Bis zum Abwinken

Gregor Schütze würde in das Schema passen, er war schon Finanzdirektor von ATV und ist seit 2018 im ORF-Stiftungsrat. Er winkt dazu stets lachend ab, seine Kommunikationsagentur läuft gut. Abgewunken hat auch Petra Stolba, scheidende Chefin der Österreich Werbung. Im ORF-Stiftungsrat drängt sie auf Digitalisierung.

Auch Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon winkt auf Anfrage ab. Die Auflagenentwicklung zeige, dass sie "weiterhin erfolgreich den Kurier führen sollte".

Den Styria-Mutterkonzern soll Rainer Nowak in der Sache beruhigt haben: Der Herausgeber der Presse wurde als möglicher Kandidat gehandelt. Spekuliert wurde auch schon über Styria-Konzernchef Markus Mair und Kurier-Geschäftsführer Thomas Kralinger. Noch zwei Abwinker.

Aus der ÖVP kommt häufig die Option "Medienmanager aus dem Ausland", meist ohne Namen unterlegt. Gelegentlich fällt aber auch jener von Josef Andorfer (Ex-RTL-2, unter Gerhard Zeiler TV-Planungschef im ORF). Viele aus der Kategorie, von Warner-Manager Zeiler abwärts, könnten mit einer Eigenschaft auffallen, die die Verfassung vom ORF verlangt: "Unabhängigkeit der Personen und Organe". (Harald Fidler, 27.2.2021)